1.3.3. Jugend und ihre Übernahme von gesellschaftlichen Rollen im Arbeitsprozeß

Die Wahrnehmung von Jugend als spezifischer Lebensphase ist so alt wie die Menschheit selbst. Sie ist anthropologischer Bestandteil der Kulturgeschichte.[1] Immer schon gab es Alte und Jugendliche. Doch das Verständnis der Jugendzeit als biographischer Phase der Bildung und Vorbereitung zur Übernahme von Rollen im gesellschaftlichen Arbeitsprozeß ist stark gebunden an die heutige Industriegesellschaft: es ist die Zeit, in der notwendige Qualifikationen erlangt werden müssen, um erfolgreich Arbeitskraft verkaufen zu können. Eine Zeit auch, in der Jugendliche Kenntnisse und Fertigkeiten erwerben, die sie dem zukünftigen Wettbewerb gewachsen sein lassen. Sie sollen lernen, realistisch auf Erfolg zu setzen und im Wettbewerb exakt kalkulieren zu können: im Kampf um den Arbeitsplatz, in der Sicherung ihrer Existenz. Wo früher der Nachweis einer umfassende Allgemeinbildung die soziale Statusprivilegierung erleichterte, muß Jugend von heute verstärkt auf fachspezifische Qualifikationen setzen.[2] Schule und Ausbildung sind mehr denn je unabdingbare Voraussetzungen beruflicher Integration in einer erwerbsorientierten Gesellschaft: gestiegenes Leistungsdenken, erhöhtes Anforderungsniveau, denen Jugendliche nicht immer gewachsen sind.

Zumal wenn berufliche und schulische Leistungsanforderungen durch erhöhte elterliche Erwartungen noch verstärkt werden. Die starke Beanspruchung durch Schule und Elternhaus kann für die Jugendlichen zur Belastung werden und Frustrationen auslösen. Dennoch bleiben Verhalten und Entscheidungen der Jugendlichen in hohem Maße zukunftsorientiert: Sie sind "auf Bewährung" eingestellt, da sie ihre eigene Zukunft realisieren müssen. In Form von Abschlußzertifikaten entstehen die Bausteine ihres zukünftigen Lebens.

Im Blick auf die konkrete Lebenssituation einzelner kann sich die Lage noch komplexer gestalten. In einer Zeit wo gängige Bildungszertifikate ihre Bedeutung weitgehend verloren haben, kaum noch als Garantie für einen Arbeitsplatz gelten, allenfalls als Eintrittskarte auf einem krisenhaften Arbeitsmarkt fungieren, muß man sich fragen, wie berufliche Identität entstehen kann. In einer Zeit, der Massenarbeitslosigkeit darf gefragt werden, ob Jugendliche überhaupt noch eine berufsbezogene Identität und Qualifikation entwickeln können. Wie kann man sich identifizieren mit einer Berufsausbildung, bei der man nicht sicher sein kann, ob man diese Qualifikationen auch im Beruf wird ausüben können? Wird hier Ausbildung nicht zum Selbstzweck oder gar Bildung zum Zeitvertreib einer ökonomisch unabhängigen Gesellschaftsschicht? Das Ausmaß der Verunsicherung wird noch deutlicher, wenn man sich vor Augen führt, daß die berufliche Identitätsentwicklung zu den bedeutsamen Momenten der Identitätsentwicklung in einer erwerbsorientierten Gesellschaft gehört. Da, wo man Menschen nach ihrem Beruf definiert, ist es für Jugendliche besonders wichtig, möglichst früh Berufswahl und -ausbildung abzuschließen und sich intensiv für die Belange ihres Berufs einsetzen zu können.

Zur Bewältigung dieser Situtation stehen den Jugendlichen verschiedene Strategien zur Verfügung. Die erste und wichtigste Strategie: der bewährte Versuch, sich in den Wettbewerb zu stürzen. Das heißt, die schulische und berufliche Sozialisation ist statt von Solidarität und Gruppendenken von Leistungsstreben geprägt. Frühe Konkurrenz und soziale Absonderung kompensieren den Wegfall beruflicher Identifikationsangebote. Die Jugendphase wird zur Phase der momentanen Statusunsicherheit. Der Jugendliche muß vielfältige neue Fähigkeiten erwerben, die ihm einen neuen Status ermöglichen.

Ein weiterer Versuch der Identitätsfindung ist die Wahl der Ausbildung. Jugendliche wählen zum einen höhere Ausbildungsformen, zum anderen entwickeln sie die Bereitschaft, über übliche Abschlüsse hinaus zusätzliche Abschlüsse und Qualifikationen anzustreben. Auch unter diesem Gesichtspunkt muß die Teilnahme am Freiwilligen ökologischen Jahr gesehen und bewertet werden. Es steht fest, daß viele Jugendliche angesichts großer Arbeitslosigkeit immer höhere und verstärkt gesellschaftsrelevante Bildungsziele anstreben.

Zusammengefaßt ist die Phase der Jugend, was die berufliche Qualifikation und Perspektive anbetrifft, eine Phase der gesellschaftlichen Anpassung. Auf der einen Seite ist den wachsenden schulischen Anforderungen gerecht zu werden, auf anderen Seite gibt es in unserer Gesellschaft keine Erfolgsgarantie, ob die Mühen, die man in die Zukunft investiert, sich auch auszahlen werden.