2.2. Persönliche Hintergründe

Es war die Rede von der Jugend als Phase der Persönlichkeitbildung, einer Zeit der Ambivalenzen, der Konflikte und Widersprüche. Hier das Fehlen überzeugender Leitbilder für die Ausbildung der persönlichen Identität, dort die biographische Zwangsaufgabe, eine ebensolche zu entwickeln. Der Begründung einer Teilnahme am FöJ liegt speziell diese Problematik zugrunde.

Ohne Zweifel suchen die Teilnehmer Kontakt mit der Natur oder zumindest mit etwas Neuem. Etwa 34% begründen im zweiten Jahr ihre Wahl auch mit moralisch-ethischen Gründen[1], aber das Hauptinteresse besteht in der Berufs- und Zukunftsperspektive bzw. in der Angst und Unsicherheit vor der Zukunft und ihrer eigenen Lebensgrundlage.[2] Eine bedeutende Triebkraft des Verhaltens unserer Teilnehmer ist also Angst und Unsicherheit. Die Teilnehmer versuchen, aus ihren Ängsten heraus zu handeln und wandeln somit ihre Begründungen der psychischen Destabilisation in Aktivitäten um. Diese Annahme wird dadurch bestätigt, daß 75,8%[3] die Aussage "Ich sehe keine ernsthafte Bedrohung für unsere Zukunft, wir werden mit unseren Problemen schon fertig werden" strikt verneinen. Zu ähnlichen Ergebnissen ist auch der Sozialwissenschafler H.-J. Fietkau gekommen.[4] Auch die Zustimmung der Teilnehmer (55,5%) zur Aussage: "In der heutigen Zeit kann man es eigentlich gar nicht verantworten, Kinder in die Welt zu setzen", unterstützt unsere Annahme.[5]

Regelmäßige Seminarbesuche und soziale Kontaktmöglichkeiten in den Einsatzstellen ermöglichen es den Teilnehmern, sich mit Gleichaltrigen zu treffen und eine "Ich-Identität" aufzubauen bzw. Verhaltensstrategien für die Lösung ihrer generationsspezifischen Probleme zu entwickeln. Das FöJ gibt ihnen Gelegenheit, sich in einer peer-group wiederzufinden, in der sie, ohne Verletzungen ihres Selbstwertgefühls durch die rationale Erwachsenenwelt, befürchten zu müssen, neue Handlungsmöglichkeiten zur Bewältigung der Probleme und Aufgaben des folgenden Lebensabschnittes finden und erproben können. Die Beharrlichkeit, mit der sie Zeit für mehr informellen Erfahrungsaustausch am Rande der Seminare einfordern (82% der Teilnehmer eines Wochenseminars); die Euphorie, mit der sie andere Gruppenmitglieder wahrnehmen: "Ökos sind nette Menschen, wirklich überdurchschnittlich"6; ihre neue Identitätsfindung als Umweltschützer: alles weitere Indizien für die Richtigkeit der genannten Überlegungen. Die Bedeutung der Gruppenzugehörigkeit zu Gleichaltrigen springt noch stärker ins Auge, wenn man berücksichtigt, daß die Teilnehmer sich während der Seminarwochen nicht intensiv für erkenntnismäßige Zusammenhänge von Umweltproblemen interessieren, sondern stärker auf dem gruppeninternen Erfahrungsaustausch insistieren. So halten beispielsweise im ersten Jahrgang nur 44% die Diskussion der ethischen Dimension des Umweltschutzes für nötig. Auch der Blick auf die Daten des dritten Jahrgangs stützt unsere These. Etwa 60% der Teilnehmer betrachten das FöJ als nützlichen Erfahrungsaustausch über ihre ureigenste Lebenssituation. Auch ist das starke Interesse (84%), nach Ablauf des FöJ weiterhin intensiven Kontakt zu den anderen Teilnehmern zu pflegen, ein Indiz für unsere Annahme.

Hilft das FöJ den Jugendlichen, ihre ambivalente Entwicklungsphase zu meistern und zu einer eigenen Identität zu gelangen? Dagegen könnte sprechen, daß sich nach Ablauf desselben 47% nur gelegentlich als Umweltschützer fühlen. Doch das FöJ wäre mißverstanden, wenn man ihm die Absicht unterstellen wollte, durch eine vorgegebene Identität - die des engagierten Umweltschützers - die Entwicklungsprobleme seiner Teilnehmer lösen zu wollen. Bereits im vorangegangenen ist darauf hingewiesen worden, daß angesichts des sozialen Wandels nicht eine einzige, unwandelbare, sondern eher eine flexible, multiple Identität gesellschaftlich gefragt und pädagogisch sinnvoll ist. Es kann daher auch nicht als Widerspruch gesehen werden, wenn 21% der FöJ-Teilnehmer 1990/91 eine aktive Mitgliedschaft in den Kirchen, aber nur 18% in Umweltorganisationen angeben. Bei näherer Untersuchung stellt sich heraus, daß eine aktive Kirchenmitgliedschaft oft einhergeht mit einer engagierten Umweltschutzarbeit. Die Teilnehmer beweisen auch einen realistischen Sinn, wenn sie nicht das FöJ als solches, sondern das damit verbundene Lebensjahr als einen Faktor bewerten, der ihnen geholfen hat, eine Ich-Identität zu entwickeln.