4.3. Kriterien für Seminarinhalte

Wie schon festgestellt, haben die FöJ-Seminare eine multifunktionelle, u.a. die Identitätsentwicklung fördernde und die politische Bildungsdimension zu berücksichtigende Aufgabe zu erfüllen. Wie sollen sie inhaltlich dieser Multifunktionalität entsprechen? In den 70er Jahren hätte diese Frage in einem detaillierten, fächerübergreifenden Curriculum eine Antwort gefunden, dessen Informationsfülle durch ein hierarchisches Lernzielsystem didaktisch strukturiert worden wäre. Um den naheliegenden Einwand einer damit einhergehenden Dozentenzentrierung zu entkräften, war aber die Versuchung groß, auf Arbeitsformen wie Gespräch, Diskussion oder Debatte zurückzugreifen. Das liest sich dann so: "Die Teilnehmer sollen diskutieren, erörtern, sprechen..." Dabei hatte der aus der außerschulischen Jugendarbeit hervorgegangene Hermann Giesecke schon warnend darauf aufmerksam gemacht, daß es bei der Diskussion weniger um einen neuen Kenntniserwerb als um gegenseitige Beeinflussung geht.[1] Mit anderen Worten: Die angestrebte Wissensvermittlung ist über das Stammtischpädagogikkonzept eines bloßen Meinungsaustausches kaum zu erreichen.

Noch eher als die Schule haben sich außerschulische Jugendarbeit und Erwachsenenbildung von curricularen Zwängen befreit. Sie können sich jedoch dabei der Gefahr aussetzen, in ein anderes Extrem zu verfallen, dem der subjektiven Befindlichkeit. Für manche Erwachsenen- und Jugendbildner gewinnen dabei Lust, Gefühle, Alltag und Ganzheitlichkeit einen herausragenden, das Gebot der Rationalität aufgebenden Stellenwert. So fordert W. Zacharias für die ökologische Jugendarbeit: "Durch die Betonung des Konkreten, Authentischen, Gegenständlichen, Ästhetischen, Gestalt- und Veränderbaren, der Eigeninitiative und Selbstorganisation kann der zunehmenden Entfremdung, der Abstraktion und Entsinnlichung, der Entfremdung von Natur entgegengewirkt werden."[2]

Eine solche Aussage ist angesichts einer starken Verkopfung des Bildungsgeschehens nicht unverständlich. Sie erscheint jedoch dort problematisch, wo sie - wie bei Umwelt- und Ökologiethemen - Angstgefühle verstärkt und auf eine wisenschaftlich-analytische Befragung der Sachverhalte verzichtet.[3] So wird deshalb im folgenden für die Seminarinhalte anstelle eines umfassenden Curriculums oder einer sich auslebenden Subjektiviät auf Kriterien wie Teilnehmerbedürfnisse, Bürgerrolle ud Wissenschaftlichkeit abgestellt:

a) Welches sind subjektiv bedeutsame Seminarinhalte aus der Sicht der Teilnehmer? Bei der Beantwortung dieser Frage ist zweierlei zu bedenken: Zum einen beteiligen sich die jungen Männer und Frauen im Unterschied zu Schülern freiwillig am FöJ; nach dem Ablegen des Abiturs leiden sie häufig unter einer Schulmüdigkeit, d.h. sie bevorzugen praktische Tätigkeiten. Zum anderen zeigt ein Jahrgangsvergleich, daß das subjektiv Bedeutsame einem Wandel der "Kohortenmentalitäten" unterliegt. War der erste Jahrgang emotional in einer starken Weise politisiert, so zeigen die folgenden Jahrgänge ein geringeres Interesse an der Erschließung der politischen Dimension von Umweltfragen. Ob so oder so - in beiden Fällen hat die Seminarleitung eine Korrektur- bzw. Komplementäraufgabe wahrzunehmen, d.h. sie sollte ein Übermaß an Politisierung abbauen bzw. zu kurz gekommene politische Aspekte einbringen.

b) Welches sind die zu vermittelnden Kompetenzen aus der Sicht der den Teilnehmern unterstellten Bürgerrolle? Ein normativer Bürgerbegriff geht u.a. von folgenden Erwartungen aus: Neugierde an öffentlichen Angelegenheiten, Lust am politischen Wirken, Verantwortung für die politische Gemeinschaft. Diese relativ offene Begriffsbestimmung läßt sich sowohl mit der auf die realistische Demokratietheorie sich berufende didaktische Position des urteilsfähigen Bürgers als auch mit der von der klassischen Demokratietheorie abgeleiteten Position der Erziehung zum Aktivbürger vereinbaren. Die Teilnehmer des FöJ gehören zu der aktiveren Minderheit der Jugendlichen. Ohne hier deshalb den didaktische Disput fortsetzen zu müssen, wollen wir davon ausgehen, daß sie eine aktive Bürgerrolle übernehmen werden. Um diese auszufüllen, benötigen sie nicht nur die schon genannten politischen Fähigkeiten, sondern auch kognitive, moralische und instrumentelle Kompetenzen. Bei letzteren wäre an die Fähigkeit zur Rede und schriftlichen Darstellung ebenso zu denken wie an Versammlungsorganisationstalent oder Überzeugungskraft. Umweltpolitik braucht beständige demokratische Mehrheiten. Diese sind aber auch Dauer gesehen nur dann zu gewinnen, wenn die für sie sich einsetzenden Aktivbürger die Umweltgefahren verläßlich einschätzen und stichhaltige Lösungsstrategien kommunikativ vertreten können.

c) Welches sind die objektiv bedeutsamen umweltpolitischen Anliegen? Diese werden heute nur zum Teil von den Menschen im Alltag selbst wahrgenommen. Die persönliche Sinneserfahrung bedarf daher zur Ergänzung und Kontrolle der Wissenschaften, die die Umweltprobleme herausarbeiten und ergründen. Doch auch sie können häufig keine "Gewißheiten" vermitteln, d.h. die Wissenschaften bieten unterschiedliche und widerspruchsvolle Erklärungen zu Phänomenen wie z.B. "Waldsterben" oder "Ozonloch" an.[4] Die notwendige Begegnung mit den Wissenschaften sollte daher weder zur "Wissenschaftsvergötzung" noch zur "Expertenverteufelung" führen. Gelegentlich wird als Lernziel die "Bürgersouveränität" gegenüber der wissenschaftlich begründeten Expertenmeinung gefordert. Dieser Forderung läge aber ein folgenschwerer Irrtum zugrunde, wenn "Souveränität" mit Unabhängigkeit von der Wissenschaft übersetzt würde. Die Umweltpolitik ist in besonderer Weise auf die Hilfe der Wissenschaften bei der Problemerfassung, -ergründung und -lösung angewiesen. Deshalb sollten auch die FöJ-Teilnehmer befähigt werden, mit ihnen umzugehen. Dies kann u.a. bedeuten: erkennen, daß es auch in den Wissenschaften unterschiedliche Auffassungen und Ergebnisse geben kann; erfahren, daß sich hinter Expertenmeinungen gelegentlich auch persönliche Interessen verstecken; lernen, mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Ergebnissen und deren Ungewißheiten umzugehen, d.h. die Ernsthaftigkeit des Umweltarguments nicht mit Selbstgewißheit verwechseln.