4.4. Beurteilung der FöJ-Seminare

Die Seminarprogramme stehen in der Regel nicht unter einem Leitthema. Als zweites fällt auf, daß sie in einem erheblichen Ausmaß der erfahrungsnahen Projektarbeit und einer naturwissenschaftlich-technischen Wissensvermittlung dienen (siehe beigefügte Übersicht): 45% aller Seminarinhalte sind diesem Themenkreis vorbehalten: Experimente, Erfassen von Flora, Wanderungen in Naturschutzzonen, Waldkartierungen, Diskussionen über Dachbegrünung. Politische Themen im engeren Sinne werden nur mit 7,7% ausgewiesen, siehe auch nachstehendes Diagramm.


Seminarthemen und dafür verwendete Zeit
Qualitative Bewertung

Bedeutet dies möglicherweise, daß die FöJ-Teilnehmer an solchen Themen gar nicht interessiert sind? Die Programme der selbstorganisierten Seminare widerlegen diese Annahme: Da stehen politische Themen im Vordergrund:


Selbstorganisiertes Seminar
Themen laut Programm

Daraus kann gefolgert werden, daß die Teilnehmer an einer ausgeweiteten politischen Bildungsdimension nicht uninteressiert sind. Die Landeszentrale für politische Bildung wäre auch aufgrund ihrer Erfahrung und Sachkompetenz mehr als jede andere Einrichtung in der Lage, diese Erwartung zu erfüllen und damit auch dem Auswahlkriterium "Aktive Bürgerrolle" zu entsprechen. Deshalb ist nicht auszuschließen, daß bereits bei sich naturwissenschaftlich-biologisch gebenden Themen wie z.B. dem "Öko-System Wald" wirtschaftlich-politische Ursachen, Zusammenhänge und Folgen aufgezeigt werden. Dennoch ist die politische Bildungsdimension nicht nur ein semantisches Problem. Besonders bei den Seminaren des zweiten und dritten Modelljahres war die Tendenz nicht zu übersehen, der komplexen politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Realität durch auf die unmittelbare Erfahrungswelt begrenzte Themen[1] wie "Was fließt denn da? - Wasseruntersuchungen" oder "Obstbaumpflege - Einführung und Schnitt" auszuweichen. Die damit verbundenen methodischen Möglichkeiten der anschaulich-sinnlichen und handgreiflich-praktischen Form wurden dabei von der Seminarleitung pädagogisch genutzt.

Zwar weisen die Seminare des FöJ-Baden-Württemberg einen stärkeren Politikbezug auf als das weithin entpolitisierte FöJ-Niedersachsen[2], doch könnte dieser im Hinblick auf die Auswahlkriterien "Teilnehmerbezug-Bürgerbezug-Umgang mit den Wissenschaften" noch verstärkt werden. Dabei denkt das Forschungsteam weniger daran, "Umweltschutz in Politik und Gesellschaft" unvermittelt neben ökologische Sachthemen zu stellen als vielmehr an eine Verknüpfung beider. Walter Gagel nennt dies "Politikmodell"[3]. Wie sich dieses in der Praxis auswirkt, wurde bereits im ersten Zwischenbericht 1990/91 am Beispiel des umstrittenen Themas "Abschaffung des privaten PKW - oder was sonst?" dargestellt.[4]

Um nicht mißverstanden zu werden: Es wird hier für eine Ausschließlichkeit der politischen Bildungsdimension ebenso wenig plädiert wie für eine Vorherrschaft der Identitätsbildungsfunktion. Im Sinne der Multifunktionalität müssen in den Seminaren Projektarbeit und Vermittlung naturwissenschaftlicher Kenntnisse auch weiterhin ihren Platz einnehmen. Es kann daher nur um eine stärkere Einbeziehung systemstruktureller Zusammenhänge und um den Ausbau der politischen Dimension in den FöJ-Seminaren gehen.