5. Schlußfolgerungen

I. Die wissenschaftliche Begleitforschung ist beauftragt, die Frage zu beantworten, ob das FöJ eine geeignete bildungspolitische Maßnahme darstelle. Aufgrund ihrer dreijährigen Beobachtung des Modellprojekts Baden-Württemberg, der Befragungen der Einsatzstellen und Teilnehmer sowie von grundsätzlichen Überlegungen gelangt sie zunächst zu einem "ja", weil:

a) Bund und Land damit ein Zeichen setzen. Man kann darin ein Beispiel symbolischer Politik sehen. Das ist nicht abwertend gemeint. Symbole können stellvertretend für eine Gemeinschaft, ein Anliegen oder eine Hoffnung stehen. In unserem Fall wollen Landtag und Landesregierung deutlich machen, daß sie die Umweltgefährdungen ernst nehmen und die darauf besonders sensibel reagierende Jugend in ihrem Einsatz für den Erhalt der Schöpfung unterstützen. So ist dies auch von der Öffentlichkeit verstanden worden. Das machten vor allem die Zeitungs- und Rundfunkkommentare deutlich, als im vergangenen Jahr die Zukunft ds FöJ in Baden-Württemberg zur Diskussion stand;

b) die Einrichtung des FöJ von der Jugend angenommen wird. Dies zeigt sich zunächst in der Zahl von Interessenten und Bewerbern. Die Zahl der Interessenten beläuft sich auf rund 1000 jährlich. Davon sind die Bewerber zu unterscheiden:

1990/91 = 119

1991/92 = 512

1992/93 = 261

1993/94 = 270.

Die am FöJ dann teilnehmenden Jugendlichen beurteilen diese Einrichtung zu 97% positiv. Ähnliche Ziffern liegen auch aus Niedersachsen vor. Als positiv wird vor allem empfunden, daß das FöJ ihnen eine Möglichkeit bietet, Erfahrungen im persönlichen Bereich zu sammeln, auf dem Gebiet des Umwelt- und Naturschutzes etwas Sinnvolles zu tun und zwischen Schule und Berufsausbildung bzw. Studium eine Orientierungsphase einzulegen;

c) das FöJ auch eine indirekte Maßnahme zur Frauenförderung darstellt. Aus bekannten Gründen (Wehr- bzw. Ersatzdienstpflicht für Jungmänner) wird es von weiblichen Teilnehmern dominiert:

1990/91 = 66%

1991/92 = 93%

1992/93 = 82%

1993/94 = 92%

Damit sind die jungen Frauen fast unter sich. Sie werden durch die Seminarleiterin darin bestärkt, Selbstvertrauen zu gewinnen, aus sich herauszugehen und ihre Probleme zu thematisieren. Gelegentlich kommt es dabei auch zur Erörterung von frauentypischen Fragen. Es könnte jedoch sein, daß diese weibliche Dominanz eine Tendenz zur Entpolitisierung der Seminare fördert. Nicht nur aus diesem Grunde ist daher ein zahlenmäßig ausgewogeneres Verhältnis zwischen Jungen und Mädchen anzustreben. In diesem Zusammenhang wäre auch zu überlegen, ob die Teilnahme am FöJ als Wehrersatzdienst Anerkennung finden sollte.

II. Für das FöJ werden nicht unerhebliche öffentliche und gesellschaftliche Mittel aufgewandt. Da es sich jedoch allein aufgrund seiner zur Zeit noch begrenzten Teilnehmerzahl von rund 60 im Jahr um eine verhältnismäßig "elitäre" Einrichtung handelt, steht es angesichts knapper Kassen unter einem besonderen Legitimierungsdruck. Es muß daher danach gefragt werden, ob neben dem "politischen Zeichensetzen", der "Annahme durch die Jugend" und der "frauenpolitischen Auswirkung" noch weitere Gründe für das FöJ sprechen. So heben die Einsatzstellen als besonders positiven Aspekt des FöJ die "Vorreiter-Stellung" seiner Teilnehmer hinsichtlich des Natur- und Umweltschutzes hervor.[1] Das ist gar nicht so selbstverständlich. So konnte auch schon die Neigung zum Rückzug ins Private oder zur politischen Ghettoisierung beobachtet werden. Die Metapher "Vorreiter-Stellung" drückt aber im Gegensatz hierzu etwas anderes aus: Vorangehen, den Weg bahnen, Beispiel setzen. Auch die Demokratie braucht aktive Minderheiten. Daran erinnert die gegenwärtig geführte Diskussion über die Bürgergesellschaft.[2] So sehr es zu verstehen ist, daß viele Teilnehmer das FöJ als Besinnungs- und Orientierungsphase erleben, so sehr kann doch die Öffentlichkeit erwarten, daß sie dieses auch als Vorbereitungsphase für die Mitwirkung an der Bürgergesellschaft betrachten. So habe ich den FöJ-Teilnehmern eine "Sauerteig-Funktion" zugeschrieben, d.h. sie sollten im Umwelt- und Naturschutz nicht nur voranreiten, sondern auch einen Sauerteig für ökologisch verantwortliches Handeln in unserem Gemeinwesen bilden.

Bringen sie dafür auch die entsprechenden Voraussetzungen wie umweltpolitisches Engagement, Kooperationsbereitschaft, Kommunikationsfähigkeit mit? Dafür sprechen manche Anzeichen: z.B. ist im Vergleich zu Gleichaltrigen der "Organisationsgrad" der FöJ-Teilnehmer etwas über dem Durchschnitt - 18 % gehören einer Umweltschutzorganisation an (Die IBM-Studie[3] identifizierte 17% der Jugendlichen als einen "harten Kern", die sich aktiv im Umweltschutz betätigen). Als kirchlich engagiert bezeichnen sich 21 %. Hierbei wirkt sich auch die weibliche Dominanz aus, denn in der Kirche sind in den alten Bundesländern die jungen Frauen sehr viel stärker engagiert (29%) als die Männer (11%). Sowohl in Vereinen als auch in kirchlichen Gruppierungen lernen die jungen Menschen, Aktivitäten zu entwickeln. Das ist einer der Gründe, warum die jährlich einmal abgehaltenen "Selbstorganisationsseminare" auf Eigeninitiative und Kreativität bauen können. Dennoch bleiben dabei Fehlleistungen und Enttäuschungen nicht aus. Das kann aber auch eine Form der Selbsterfahrung sein. Wie sich diese auf das Verhalten gegenüber der "Außenwelt" auswirkt, ist noch nicht hinreichend geklärt. Die Befragungsergebnisse ergeben ein etwas widersprüchliches Bild: auf der einen Seite das Gefühl von "Umwelt-Gewißheiten", auf der anderen Unsicherheiten gegenüber "Außenstehenden" oder "Andersdenkenden". Besonders auffallend war dies im 1. FöJ 1990/91, wo nach eigenem Bekunden viele Teilnehmer sich schwer damit taten, "für einen guten Zweck etwas zu verkaufen"[4]; auch zweifelten sie daran, ihre Interessen im Lebenskampf durchsetzen zu können.[5] Haben sich diese Zweifel und Befürchtungen bestätigt? Darüber liegen noch keine Untersuchungsergebnisse vor, d.h. wir müssen uns mit Absichtserklärungen der Teilnehmer begnügen. Waren noch 57% der Teilnehmer des 1. FöJ bereit, sich an öffentlichen Aktionen zum Schutze der Umwelt zu beteiligen, so sank diese Zahl beim 3. Jahrgang 1992/93 auf 32%. Und nur 5% bekundeten ihren Willen, in einer Bürgerinitiative aktiv für die Umwelt einzutreten. Daß die Zahl nicht so niedrig ist, wie zunächst erscheint, ergibt ein Vergleich: im gleichen Jahr beteiligten sich in Westdeutschland nur 1,4% der männlichen und 2% der weiblichen Jugend an Bürgerinitiativen.[6]

Es bleibt zu überlegen, wie der "Sauerteigeffekt" noch verstärkt werden kann. Ansatzpunkte hierfür stellen das Auswahlverfahren, die Einsatzstellen und die Seminare dar:

a) Auswahlverfahren: Dabei sollte nicht nur die berechtigte Frage gestellt werden, ob der Bewerber in die Einsatzstelle paßt, sondern es wäre auch herauszufinden, ob er verspricht, Multiplikatorenfähigkeiten, u.a. Kooperationsbereitschaft, Kenntnisfähigkeit, Überzeugungskraft, Vermittlungskompetenz zu entwickeln.

b) Einsatzstellen: bei Einsatzstellen mit aufklärerischer oder Verwaltungsfunktion bestand bislang schon Gelegenheit, diese zu erproben. Aufgrund ihres anders gelagerten Funktionsbildes können viele Einsatzstellen dies Chance jedoch nicht im gleichen Maße bieten. Hier wäre zu überlegen, ob durch deren Einbezug in die Seminare oder "Tage der offenen Tür" Multiplikatorenfähigkeiten gefördert werden können.

c) Seminare: Im Kapitel über dieselben (Kapitel 4. Seminare) ist bereits herausgearbeitet worden, daß die FöJ-Seminare nicht nur der Lebens- und Berufsorientierung oder der ökologischen Wissensvermittlung, sondern auch der Identitätsfindung und der Einübung einer umweltverantwortlichen Bürgerrolle dienen. Deshalb sollte ihre politische Bildungsdimension noch eine größere Beachtung finden.