Institutionalisierungsprozesse

von neuen Medien

im Spannungsfeld von

kulturellen, gesellschaftlichen

und technischen Entwicklungen

von

Helmuth Sagawe

Vortrag am 4.2. 1997 in Leipzig

Heidelberg 1997

Guten Tag meine Damen und Herren,

seit kurzem werden im verstärktem Maße, auch insbesondere in den Sozialwissenschaften, in einem medien- und kommunikationswissenschaftlichen Diskurs die gesamtgesellschaftlichen Aspekte der Einführung von neuen Technologien und insbesondere der neuen Kommunikationsmedien mit dem Sammelbegriff Neue Medien, thematisiert.

Die Einführung bewegter Bilder mit akustischer Unterlegung in die Kommunikationsmedien, wird häufig als Bedrohung unserer Wirklichkeitswahrnehmung gedeutet. Die soziologisch interessante Veränderung wird dabei nicht in den Strukturen der Wahrnehmung gesucht, sondern in denen der Kommunikation. Als neu angesehen wird die Virtualisierung von Realitätskonstruktionen, sondern die Interaktivität mit revolutionierenden und kaum noch begreifbaren technischen Mitteln, die in die Hände verschiedener institutionell eingebundener gesellschaftlicher Gruppen befinden. Die evolutionäre Rolle der Kommunikationsmittel hat sich,- so die These- als Teil einer symbolisch-technischen Doppelstruktur der Kommunikation herausgestellt.[1] Bereits auf einer elementaren Ebene der Kommunikation, die gekennzeichnet ist durch

Selbstproduktions- und Evolutionsfähigkeit sozialer Systeme,

durch eine operative Geschlossenheit und kognitive Offenheit - jenseits von menschlichem Bewußtsein - ,

werden technische Unterbrechungen der strukturellen Kopplung verschiedener Elemente der Kommunikation,

ihre symbolisch-rekursive Verknüpfung und

die Ausdifferenzierung dieser Verknüpfungen

als grundlegende Mechanismen bezeichnet.

Zweierlei wird hier deutlich: Durch die Verwendung interaktionsähnlicher Ein- und Ausgabegeräte der Neuen Medien entsteht kein informeller Verlust, sondern ein gesteigertes Maß an kognitiver Kontrolle der Kommunikation. Mit welchen symbolisch generalisierten Ordnungsmitteln jedoch die Gesellschaft die Folgen dieser Innovation ihrer Kommunikationsmöglichkeiten und den sozialen Folgen verkraften kann, in wieweit sie normativ regulierend eingreifen kann, ist derzeit durch sozialwissenschaftliche Analysen weitgehend noch nicht abzusehen.

Autorität

Ich möchte hier verschiedene Bereiche, die ich als Rationaltätskonstruktionen für Institutionalisierungsprozesse bezeichenen will, erörtern:

Über die Neue Medien, insbesondere heute in der aktuellen Diskussion über das Internet, wurde in den heutigen Medien ein Diskurs in das öffenliche Bewußtsein gebracht, der einmal mehr Hoffnungen und Befürchtungen einer gesellschaftlichen Entwicklung im Zuge einer technologischen Revolution vorausahnen läßt.[2] Seine Annahme, daß neue Informations- und Kommunikationstechnologien potentiell in vielen Bereichen der Gesellschaft einschneidende Veränderungen hervorrufen können, beruht hier auf der Annahme, daß dieser Diskurs (Leit-) Bilder der Hoffnung und Befürchtung der Apokalypse konstruiert, die von der Annahme ausgehen, daß es zu einer Veränderung in gesellschaftlichen Autoritätsstrukturen komme. Beruhend auf Informations-Infrastruktur-Initiativen in den USA und in der EU wurden gemeinsame Linien der Formulierungen von positiven und negativen Erwartungen vor dem Hintergrund der Autoritätsverlagerung herausgearbeitet, um mit dieser Frage nach der Autorität die Eigenschaften von Medien (Interaktivität/ Vernetzung) mit der kommunikativen Praxis und sozialen und institutionellen Phänomenen verknüpfen zu können. So sollen Emanzipation und Demokratie im Zusammenhang mit der Ausübung von Kontrolle in Kommunikationsprozessen begreifbar werden. Das gesellschaftliche Veränderungspotential der neuen Medien, das aufgrund von Vorstellungen über soziale Auswirkungen des Gebrauchs von ihnen und den Annahmen über die Funktionalität dieser ausgeht, könnte auf diesem Wege ersichtlich werden.

Auch gegenwärtige Bestrebungen zur Reformulierung einer "Kritik der Medien" in den Cultural Studies bewegen sich um den Begriff "Medienkultur". Eine Analyse, Beschreibung und Kritik der Medien und somit auch der "Kulturindustrie" zeigt jedoch erhebliche Unterschiede in der Behandlung der Medienkultur. Einerseits, bei den Vertretern der kritisch-materialistischen Strömung, ist der relationale Zusammenhang zwischen den Medieninstitutionen und dem Publikum der Ausgangspunkt, andererseits situieren die Vertreter von postmodernen Theoriekonzepten ihre Analyse in einer beinahe ausschließlichen Betrachtung des Text-Leser-Verhältnisses. Diese unterschiedlichen Ansätze zeigen schon, daß hier ein Scheinproblem aufgebaut wurde, bei dem ein sozialtheoretisches Verständnis der Medienkultur als Bezugspunkt einer Kritik der Medien in den Hintergrund treten könnte. Eine Kritische Theorie der Medien könnte sich jedoch ableiten lassen aus dem Verständnis der Medien als Vermittlungsort sozialer Praxis, von wo aus sich die Möglichkeiten einer handlungstheoretisch fundierten Medientheorie erörtern ließen. Hier könnte in einem jeweils gesellschafts- und kulturspezifischen Gefüge von sozialer Herrschaft und Bedeutungsproduktion vor dem Hintergrund einer Politisierung der Alltagskultur eine Kritik der Medien Bedeutung finden.

Nationalstaat

Nach Norbert Elias[3] war im Zivilisationsprozeß der Wandel von der vormodernen zur modernen Gesellschaft unter anderem durch einen Wandel der intern pazifizierten Institutionen, Rechte, Zwänge und der Moral gekennzeichnet. Nach dieser Theorie ist der Nationalstaat die größte Einheit, die das Gewaltmonopol inne hat und eine bedeutsame Grenze zwischen Binnen- und Außenmoral ziehen kann. Der Übergang von der modernen zur postmodernen Gesellschaft rückt die Frage in den Vordergrund: Wie verändert sich der Nationalstaat und sein Gewaltmonopol im Rahmen einer durch elektronische Netze entstehenden Globalisierung?

Welche Funktion haben die Neuen Medien in Institutionalisierungsprozeß innerhalb einer Gesellschaft, d. h., - im Ansatz fragen:

nach der strukturell-funktionalen Theorie (von T.Parsons), - welche Funktion haben die Neuen Medien als strategische Einrichtung zur Befriedigung grundlegender sozialer und individueller Bedürfnisse, oder

nach der weiterführenden Systemtheorie (nach Luhmann), in wieweit sind die Neuen Medien Faktoren (oder Institution) für ein geregeltes aufeinanderbezogenes soziales Handeln und einem gesellschaftlichen Konsens,

oder letztlich nach der marxistischen oder neomaxistischen Theorie, in wieweit sind sie systemstabilisierende Organe der herrschende Klasse und Mittel der Unterdrückung.

Hierauf komme ich nochmal in meinem letzten Kapitel bei der Medienpädagogik als Institutionalisierungsfaktor zurück.

Soziale Theorie

Theorien und Theoriediskussione beanspruchen nun aber auf unterschiedlichste Weise autonome Erkenntnis, so auch die sozialwissenschaftlichen, die Antworten auf solche Fragen stellen könnten. In ihrem Affekt waren sich schon vor dreißig Jahren die Kritische Theorie und Kritischer Rationalismus einig. Die Autonomie der Soziologie sucht man heute zumeist in der Fähigkeit zur Distanz gegenüber religiösen, politischen oder ökonomischen Interessen. Handlungstheoretisch sucht man die Abhängigkeit der Wissenschaft von Ressourcen und Leistungserwartungen als Quelle einer möglichen Heteronomie. Wird der Soziologie aber die Aufgabe der Gesellschaftsbeschreibung zugemutet, so ergibt sich ein neues Autonomieproblem, nämlich die Fähigkeit zur Wahrung der Distanz gegenüber den Massenmedien, denn durch sie wird primär das Wissen der Soziologie über die Gesellschaft vermittelt. Aber auf welchem Terrain operiert die Soziologie heute in diesem Bereich? Kann Cyberspace mit dem Spätkapitalismus erklärt werden? Jedenfalls gibt es beachtliche Fortschritte in der Beschreibung unserer Epoche mit Hilfe spätmarxistischer Kategorien.[4] Die neuen Medien werden hier als Ausdruck einer für den Kapitalismus typischen Stufe der erweiterten Reproduktion verstanden, welche durch die Konvergenz von Ökonomie und Kultur gekennzeichnet sei. Die mediale Massenkultur greife unmittelbar in den Prozeß der Ökonomie ein. Ein wichtiges Operationsfeld der Soziologie bei ihrem Bemühen um ein cognitive mapping dieser Welt, sind demnach die neuen Medien, die als eine Handlungsstruktur des spätkapitalistischen Raum- und Zeitarrangements angesehen werden müssen. Die Kommunikationscomputer entwickeln sich zu hermeneutischen Maschinen der soziologischen Imagination, und zwar in einer unendlich effektiven Weise, als es Systemtheorien der autopoietischen Variante für sich beanspruchen könnten. Solch eine neue erkenntnistheoretische Situation fordert Problemorientierungen bei private problems und public issues der informationsgesellschaftlichen Dynamik des Kapitalismus heraus. Geistige Macht- und Eigentumsverhältnisse auf den Netzen und in den Massenmedien lassen die weitere Frage über die Rolle der herrschenden Klasse im ökonomischen und politischen Institutionalisierungsprozeß aufkommen.

Rationalitätskonstruktion Kultur

Unter Bezug auf Michel Foucault und John Fiske[5] kann man anhand einer Analyse der Populärkultur, welche die Konsumpraktiken als Taktik begreift, aufzeigen, daß innerhalb der alltäglichen Handlungsstruktur der Macht allmählich ein Netz der Antidisziplin bestehender gesellschaftlicher Institutionen entsteht. In der Soziologie muß es nun darum gehen, die ökonomisch begründeten Machtverhältnisse der transnationalen Multimedienkonzerne transparent zu machen. Dabei kann der Begriff der Medienkultur z.B. nach Müller-Doohm, Medienkultur im Zeitalter des Globalismus unter drei Aspekten diskutiert werden:[6]

"- Die Medien in ihrer Funktion der Vermittlung von Kulturen, die in ihrer Heterogenität Anspruch auf gleichbleibende Repräsentation stellen (Multikulturalismus und free flow of communication)

- Die Medien in ihrer Funktion als Produzenten von (kommerzieller) Kultur, die spezifische Deutungsmuster und übergreifende Sinnangebote beinhalten (Agenda-setting im globalen Maßstab)

- die Auswirkungen der sich verändernden Medienstrukturen auf die kulturellen Räume nationaler Gesellschaften (Visualisierung der Kommunikate, Temposteigerung und Intensivierung der Kommunikation, Delokalisierung)"[7]

In welcher Richtung werden nun aber die Veränderungen des kulturellen Gefüges der Gesellschaft durch den Wandel der kommunikativen Infrastruktur der neuen Medien gehen?

Die Soziologie hat in der Debatte zur Postmoderne die traditionellen Konzepte, die auf der Idee einer einheitsstiftenden Vernunft basieren, durch Hinweise auf die irreduzible Vielfalt von Sprachspielen und die damit einhergehende Fragmentierung von Identität und Vernunft in Frage gestellt.[8] Durch die aktuelle Entwicklung der Informationsgesellschaft mit ihren neuen Medien scheint eine Zersplitterung und Vervielfältigung von Sinnbezügen intensiviert worden zu sein. Die Vielfalt der Medienangebote mit unterschiedlichen Strukturen scheint mit einer zunehmenden Diversifikation von Wirklichkeitsentwürfen und Rationalitätsformen verbunden zu sein, die jedoch aber nur in kurzlebigen virtuellen Gruppierungen situativen Bestand haben. Gefahren für eine kontextübergreifende soziale Verständigung und für die Grundfeste einer universalistisch konzipierten Realität können dabei zu einer blinden Beliebigkeit, zu einer zumindest in Entropieverdacht stehenden Informationsgesellschaft führen.

Geht man von neuen Formen kultureller Ausdifferenzierung durch die neuen Medien aus, so muß man hier ein Ensemble von Gründen in der Diffusion computergestützter und -verstärkter Kommunikation betrachten. Unterhalb von Globalitätszusagen entstehen transkulturelle und cyber-moderne Strukturen der Vermittlung, der Bedeutungsbildung und der Innovation. Auch mag die elektronische Globalisierung ein wesentlicher Faktor für eine regionale/lokale Ausdifferenzierung kultureller Gemeinschaften, kultureller Differenzen und Integrationsbemühungen sein. Auch die gestalterischen Chancen für soziale Systeme erhalten in neuen (quasi institutionellen und kulturellen) Integrationsräumen andere und neue Möglichkeiten.

Medienpädagogische Aspekte ;

Lassen Sie mich zum Schluß noch etwas zu Medienpädagogischen Aspekten sagen. Bei der Literaturrecherche über Medienpädagogik war ich zuerst vor eine Vielfalt von Literatur mit unterschiedlichen Meinungsbildern gestellt worden. Ich mußte zuerst feststellen, daß es nicht eine Medienpädagogik gibt, sondern wir die Medienpädagogik als medienpädagogische Ansätze wahrzunehmen haben, die Spannbreite politischer, pädagogischer, sozio-ökonomischer und kultureller Arrangements in den verschiedenen Ländern sich äußerst breitgefächert darstellt. Die Medienerziehung ist in jeder Gesellschaft an den Schnittstellen des Erziehungssystems, des Rundfunksystems und des politischen Systems angesiedelt. Heute kommt hier noch im starken Maße eine Technikorientierung hinzu. Die Medienerziehung muß deshalb die Einmaligkeit und Besonderheit der Kultur widerspiegeln, deren Teil sie ist. Dennoch, so bin ich überzeugt, müssen heute bei der Internationalisierung technischer Standards und Kommunikationswege, Ansätze, Methoden, Ideen und Themen innerhalb der Medienpädagogik gefunden werden, die auf eine internationale Basis gestellt werden können.

Bis in die frühen achtziger Jahre diente der Unterricht über Medien im wesentlichen noch der Fürsorge und der Immunisierung gegen die übermittelten Informationen. Der Ursprung einer solchen Einstellung lag in einem tiefsitzenden Mißtrauen gegenüber den Medien selbst, die oft als Agenten des kulturellen Niederganges und als Verführer der Unschuldigen ettikettiert wurden. Die Medienpädagogik sollte als Gegengewicht zu diesen Entwicklungen aufgebaut werden. Nicht umsonst haben Autoren wie Neil Postman[9] oder Marie Winn[10] solch enorme Popularität gewonnen.

Die Legitimation für die früheste Medienpädagogik resultierte aus einem bewahrenden Ansatz heraus, die Kinder vor den schlimmsten Exzessen der Medien schützen und auch den Fortbestand unserer kulturellen Werte sichern zu wollen. Es gab zwei Hauptvarianten. Die eine vertrat die Auffassung, daß sich die Fähigkeit zur Differenzierung, d.h. sicheres Urteils- und Geschmacksvermögen, sich nur entwickeln könne, wenn Kinder den grundlegenden Unterschied zwischen den zeitlosen Werten der bestehenden Kultur, wie sie in den klassischen Disziplinen verkörpert werden, und den im wesentlichen kulturellen Werten der überwiegend kommerzialisierten Massenmedien, begriffen. Hier wurden nur populäre Medien in den Unterricht integriert, die demonstrieren sollten, daß Literatur über Film, Fernsehen und neue elektronische Medien zu dominieren habe.

Die zweite Variante der Medienpädagogik brachte den neuen Medien mehr Verständnis entgegen. Hier war man der Meinung, daß diese Medien durchaus in der Lage seien, authentische Kunstwerke hervorzubringen, und daß es Aufgabe der Medienpädagogik sei, die Schüler zu ermutigen, sich nicht gegen die Medien, sondern zwischen ihren Produkten zu unterscheiden, das "Gute" vom "Schlechten" zu trennen. Die sich hieraus ergebende Hinwendung zum populären Kunstgeschmack war aber immer noch eine "bewahr-pädagogische" Sichtweise.

Eine erkennbare und radikale Bewegung in der Medienpädagogik war anschließend jene, die das Ziel hatte, weg von "Unterscheidungsvermögen" und "Wertschätzung" zu kommen und eher forschende Ansätz, die auf Medienverständnis zielten, aufnahm. Die Frage nach ästhetischen und moralischen Werten, wie gut oder schlecht die Medien seien, wurde aus der zentralen und dominierenden Position herausgenommen. Zweitens wurde dadurch die hierarchische Stellung des Lehrers als anerkannter Experte und Wissensvermittler im Unterricht untergraben. Die Medienpädagogik befand sich demnach für manche Pädagogen in der Krise.[11] Sie war nach wie vor ein wesentlich negatives Verfahren, da sie nun gegen den populären Geschmack gerichtet war. Zweitens hatte man keine allgemein akzeptierten Standards oder Kriterien, um die Medien zu bewerten. Der Lehrer als Scheinautorität hatte keine theoretischen Anhaltspunkte für "gute" oder "schlechte" Medienerzeugnisse. Aus Mangel an ästhetischen Kriterien ging man nun dazu über, einen Prozeß einzuleiten, wie man die Medien begreifen könne. Es sollte der größere Zusammenhang der Medienprodukte dargestellt werden, wie diese hergestellt, verbreitet und konsumiert werden. Die "Wertfrage" war damit aber noch nicht endgültig erledigt, obwohl die Anwendung eines transzendentalen, kulturübergreifenden und ahistorischen Wertbegriffs unmöglich geworden war. Nur noch eine transitiv gestellte Wertfrage konnte gestellt werden: Für wen gilt der Wert? Auf welche Ideen und Urteile bezieht sich der Wert? Welchen strategischen Zwecken gehorcht ein Wert? Der Wert ergab sich nun nicht mehr in erster Linie aus der Qualität eines Textes oder einer Darstellung, sondern aus seiner Nützlichkeit für bestimmte Gruppen.

Die Entwicklung vom Werturteil zum Verstehen hatte in der Medienpädagogik zur Folge, daß die Lernenden nicht mehr nur passive Rezipienten vorformulierter Textbedeutungen und Darstellungen waren, sondern zu aktiven Produzenten von Bedeutungen wurden, man ging weg von ästhetischen Fragen und mehr zu technischen und wissenschaftlichen Problemstellungen über. Wie und in wessen Interesse funktionieren Medien? Wie sind sie organisiert? Wie geben sie die Wirklichkeit wieder? Wie werden die Darstellungen von unterschiedlichen Zielgruppen aufgenommen und bewertet? Anstatt der Erziehung zur geschliffenen ästhetischen Urteilsfähigkeit hatte nun ein kritisch-informiertes Medienverständnis den Vorrang. Diese Entwicklung von einem bewahrpädagogischen Ansatz zu einem forschenden Theorienansatz und darüber hinaus zum Prinzip der aktiven Befähigung war begleitet von weiteren konzeptionellen Veränderungen. Heute geht man im wesentlichen von einem ganzheitlichen und ökologischen Ansatz in der Medienpädagogik aus,[12] der Bestandteil eines Institutionalisierungsprozesses sozio-evolitionärer Technik der Neuen Medien ist.

Medienerziehung in Schule und Hochschule

Innerhalb der Medienwelt hat sich mittlerweile die "Erziehungs- und Bildungswelt" als eine eigenständige Disziplin entwickelt, auf die besonders die Hochschule und Universität als das klassische System organisierter Bildung reagieren mußte.[13] Ein Orientierungsrahmen sollte von der Entwicklung der Medien und ihren Wirkungen ausgehen; es sollten Leitvorstellungen entwickelt werden, an denen sich die pädagogische Arbeit in Schule und Hochschule orientieren könne.

Die Bildungssektor wurde schon zu allen Zeiten von den Medien unterstützt, aufrechterhalten, vertieft, aber auch verändert. Bücher, Texte und Bilder sind seit jeher die klassischen Bildungsmedien.

Die Printmedien haben sich in den letzten Jahrzehnten in der Vielfalt ihrer Erscheinungsformen und in der Breite der Themenbereiche ausdifferenziert. Hinzugekommen sind die elektronischen Medien mit neuen Ausdrucksformen und Wirkungsweisen.

Die Medien müssen heute als integrativer Bestandteil gesellschaftlicher Wirklichkeit angesehen und akzeptiert werden; sie gehören zum Alltag von Familie, Schule und Ausbildung. Die Medien sind zum "Miterzieher" geworden. Sie können in einigen Fällen die Kommunikation erleichtern und bieten neue Orientierung an. Medien greifen Themen des gesellschaftlichen Lebens auf und wirken sich so schon in früher Kindheit und Jugend stark auf die persönliche Lebensgestaltung aus. Bildung und Erziehung im Elternhaus, in der Schule, Hochschule und im Beruf greifen tiefer und unmittelbarer in die Persönlichkeit ein als dies früher der Fall gewesen war.

Informationen, Probleme und Wertorientierungen der Medien überdecken in ihrer Wirkung oft Alltagserfahrungen und die Bezüge zur erlebten Realität. Daher muß von einer veränderten Bildungssituation, d.h. auch von veränderten Lernvoraussetzungen und Lernmöglichkeiten ausgegangen werden. Durch eine systematische Einbeziehung von Presse, Rundfunk und Film sowie der elektronischen Medien in den Unterricht und die Gestaltung des Bildungsbereiches, durch die Einführung der informations- und kommunikationstechnischen Grundbildung mit dem Ziel, Vertrautheit und Sicherheit im Umgang mit den elektronischen Medien aufzubauen, aber auch durch eine verstärkte inhaltliche Auseinandersetzung mit den Botschaften dieser Medien, muß der neuen Situation Rechnung getragen werden.

Vernetzte Computer- und Videosysteme sind nicht nur Werkzeug und Arbeitsmittel, sondern zugleich berufliche und weiterbildende Kommunikationsmedien, die den Berufsalltag durchdringen. Mit dem erweiterten Einsatz von Computern - und künftig vermehrt auch multimedialer Systeme - nehmen Simulationen und Modellbildungen unterschiedlicher Art in vielen Berufen zu und ersetzen Realbegegnungen. Berufliches, aber auch außerberufliches, wie privates Handeln geschieht vielfach in einer "Computerwelt, einer virtuellen Scheinwelt". Interaktionen finden indirekt und elektronisch-digital statt. Der Bezug zur Wahrheit und Wahrhaftigkeit ist oftmals dabei nebensächlich .[14] Vor solch einem Hintergrund besteht die Aufgabe des Bildungssektors und der Bildungspolitik darin, die Nutzungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Medien in ihrer Präsenz anzuerkennen, sie zugleich in ihren Wirkungen zu analysieren und gegebenenfalls die Einflüsse durch entsprechende Maßnahmen der Aufklärung und Didaktik zu korrigieren. Eine Medienerziehung in öffentlichen Bildungsbereich sollte dazu beitragen, für den alltäglichen Umgang mit den elektronischen Medien "Medienkompetenz" und "Medienkultur" zu entfalten. Hier ist im eigentlichen Sinne von einer Institutionalisierung der Neuen Medien zu sprechen.