Freiwilliges Ökologische Jahr

Modellprojekt in Baden-Württemberg

mit wissenschaftlicher Begleitung

von

Dr. Helmuth Sagawe

Post-Ökologie, eine neue Jugendbewegung?

Eine Untersuchung über das Freiwillige ökologische Jahr in Baden-Württemberg (Modellprojekt)

von

Helmuth Sagawe



Entwurf der Graphik: Prof. Dr. Erika Schuchardt
1993 wurde für Jugendliche in Deutschland ein Freiwilliges ökologisches Jahr eingeführt. Nicht nur aus gesellschafts- und umweltpolitischer Sicht sollte dadurch ein Zeichen gesetzt, sondern auch für ökologisch orientierte Jugendliche die konkrete Möglichkeit geschaffen werden, den Umweltschutzgedanken mit ökologischen Tätigkeiten zu verbinden. Die Teilnehmer des FöJ hatten Gelegenheit zur Selbstverwirklichung und Selbstentfaltung, zur Ich-Identitätsfindung in einer von ihnen als schwierig erachteten Zeit.

Jugendliche zwischen 15 und 27 Jahren können ab dem 1. September 1993 ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FöJ) im Umweltbereich absolvieren. Mit der Verabschiedung des FöJ-Förderungsgesetzes hat der Bundestag die rechtlichen Voraussetzungen dafür festgelegt. Danach werden die Teilnehmenden - erwartet werden 1000 pro Jahr - den Absolventen eines Freiwilligen sozialen Jahres (FsJ) gleichgestellt" (dpa-Meldung vom 6. Juli 1993). Voraussetzung hierfür war ein dreijähriges Modellprojekt in den Ländern Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg (Akbari/ Sagawe/ Schneider 1994) und Sachsen mit wissenschaftlicher Begleitung. Inzwischen ist das dritte Modelljahr des Projektes FöJ in Baden-Württemberg (mit 60 Teilnehmenden) erfolgreich abgeschlossen, und es bieten sich nun Reflexionen und Überlegungen aus aktueller und jugendnaher Sicht, sowie unter gesellschaftsökologischer Perspektive in einem keineswegs politikfreien Raum an. Angesichts der sich heute als aktuell herauskristallisierenden sozialen und psychischen Probleme Jugendlicher und der von ihnen verwandten Strategien und Lösungsmöglichkeiten sollen die von der Gesellschaft bereitgestellten ökologischen Kalküle, die die Jugendlichen im Rahmen des FöJ kennengelernt haben, thematisiert, aber auch der familiäre Hintergrund der Jugendlichen - als soziales Umfeld aufgefaßt - in die Analyse mit einbezogen werden.

Das Modellprojekt wurde wissenschaftlich mit dem Ziel begleitet: "grundsätzlich die Frage zu klären, ob das Freiwillige ökologische Jahr in dieser Ausgestaltung eine geeignete bildungspolitische Maßnahme für junge Menschen ist und ob sich die vorliegende Konzeption als Modell für die Schaffung einer bundesgesetzlichen Regelung zur Einführung eines Freiwilligen ökologischen Jahres eignet" (Pflug 1991 und Ministerium für Umwelt Baden-Württemberg 1989).

Die Planung der wissenschaftlichen Untersuchung über den FÖJ-Modellversuch in Baden-Württemberg (1990-1993), wurde zunächst, anhand der Konzeption und Instrumentalisierung der wissenschaftlichen Begleituntersuchung von Hannover, durchgeführt, um nach Beendigung eine Vergleichbarkeit des Befragungsmaterials gewährleisten zu können. Wenn für Baden- Württemberg die niedersächsischen Untersuchungsziele, Schwerpunkte und Methoden übernommen wurden, so sind sie doch infolge eines späteren erweiterten Forschungs- und Erkenntnisinteresses im Hinblick auf makrosoziologische ("gesellschaftspolitisches Problembewußtsein" und "Sozialverhalten") und mikrosoziologische Fragestellungen (Differenzierung des Persönlichkeitsbildes der Teilnehmer gemäß Dimensionen wie Introversion und Extroversion) ausgebaut worden. Um diese zusätzlich gewonnenen Teilnehmerdaten besser mit der Gesamtpopulation bzw. den "durchschnittlichen Meinungs- und Einstellungswerten" Gleichaltriger vergleichen zu können, konnte außerdem noch eine Vergleichsgruppenbefragung mit 40 Studenten der Universität Heidelberg durchgeführt werden. Um das Generationenkonfliktpotential zwischen Eltern und Jugendlichen mit in die Untersuchung einzubeziehen, wurden die Eltern mit in die Untersuchung einbezogen, - sie füllten mit großem Interesse die ihnen zugesannten Fragebögen aus.

Das vorrangige Ziel der Untersuchung war es, im einzelnen Erkenntnisse zu gewinnen über:

I. Mikro- und makrosoziologische Dimensionen wie:

(a) Persönlichkeitsbild der FÖJ- Teilnehmer

(b) Umweltbewußtsein und Umweltverhalten der Jugendlichen

und

II. die Institution des Freiwilligen ökologischen Jahres:

(a) Ablauf und Inhalte (Konzeption) der von der Landeszentrale für politische Bildung durchgeführten Begleitseminare

(b) Einstellung und Erfahrungen der Einsatzstellen zur Institution FÖJ und den Helfern.

III. Anregungen und Vorschläge etwaiger neuer Konzeptionen der Seminare aufgrund der erhobenen Persönlichkeitsprädispositionen der FÖJ-Teilnehmer und einer inhaltlich klarer definierten Gesamtzielsetzung des FÖJ zu erarbeiten.

Das Team der wissenschaftlichen Begleitung in Baden-Württemberg bildete sich aus:

Prof. Dr. Herbert Schneider, PH- Heidelberg, Politologe,

Hasan Akbari, Sozialwissenschaftler, finanziert durch die Landeszentrale für Politische Bildung,

Dr. phil. Helmuth Sagawe, Soziologe, Universitäts-Dozent.

Vorbemerkungen zur gesamtgesellschaftlichen Situation der Jugendlichen: In Tageszeitungen und Szene-Journalen, im Rundfunk und im Fernsehen haben derzeit Diskussionen über jugendliche Randerscheinungen aufgrund einer allgemein verbalisierten Gesellschafts- und Politikverdrossenheit Hochkonjunktur. Die im alltäglichen Sprachgebrauch erscheinenden Begriffe nehmen aktuell-modische Themen zeitnah auf, gesprochen wird im revoltierenden radikalen Kontext von Rockern, Hooligans, Faschos, Skinheads, Boneheads, Redskins und Autonomen, im eher angepaßten Sinne einer New Generation von Yuppies, Flippies, Babyboomern, Dinks, Teds und Wavers oder gar von einem neuen Zeitalter, dem New Age. Beatniks, Gammler, Voyous, Provos, Happeners, revolutionäre Studenten oder Vietniks und Peaceniks hatten zuvor das Bestehende in Frage gestellt, Aufsehen erregt und die Etablierten in Angst und Sorge versetzt. Die protestierende Jugend begann erst in den anglo-amerikanischen Staaten eine Gegenkultur aufzubauen, dann in aller Welt Universitäten und Amtsgebäude zu besetzen, in Frankreich ließ sie eine Revolte und Konterrevolte ausbrechen und brachte die erstarrten demokratischen und verkrusteten Regierungen in Bewegung.

Die Protestbewegung stellte insgesamt eine Antithese zur traditionell-christlichen Kultur dar. Heute dagegen sind die einen, die linken und rechten Revoltierenden, in erster Linie geil auf Gewalt, die anderen heiß auf Movement, auf Scene, auf the Kick, Action und Special-Style[1]. Weniger Aufsehen dagegen erregt eine weitere Gruppierung Jugendlicher, welche still mit ökologisch-transzendentalen Weltanschauungen von innen heraus die Welt verbessern will.

Die hauptsächliche Orientierung Jugendlicher an ökologisch schädlichen Auswirkungen der Industrie und am Maßstab von Naturgesetzen speist sich aus ganz verschiedenen Quellen. Die alte ÖKO-Bewegung, hervorgegangen aus den 60er Jahren, unterteilte sich einerseits in politisch Argumentierende (Realos), andererseits in utopisch argumentierende und esoterisch fundierte Gruppierungen (Fundis). Heute versucht hier auch verstärkt nationalistisches bis faschistisches Gedankengut, allerdings mit unterschiedlichem Erfolg, in diese Gruppierungen einzudringen[2], aber auch in der rechten Szene unserer Gesellschaft werden ökologische Argumente für faschistische Einstellungen und Verhaltensweisen zu mißbrauchen versucht.[3]

Die Jugendlichen werden aber auch von Neuen Sozialen Bewegungen beeinflußt, wie der des Bioregionalismus, einer zukunftsträchtigen Verquickung aus Alternativ- und Ökobewegungen, Spiritualität, Ökologie und Regionalismus, oder der des Ökozynismus mit rassistischer Fundierung. Sich ändernde ökologische Werthaltungen und ein introvertiertes Umweltbewußtsein läuten so eine "ökologische Wende" ein. Die alten aktivistischen ökologischen Einstellungen der 70er Jahre kehren sich um, nicht nur die Grenzen des ökologisch Machbaren werden enger gezogen, auch geographische, ethnisch/rassistische, kulturelle und geistige Schranken sollen der Gesellschaft fundamentalistisch begrenzend auferlegt werden: Tendenzen, die ich mit dem neuen Begriff der Post-Ökologie bezeichnen möchte.

Seit den 80er Jahren ist ein Begriff, der der Neuen Sozialen Bewegungen aufgetaucht, zuerst im wissenschaftlichen Sinne, später auch in der Umgangssprache. Verstanden wurden hierunter die sogenannten alternativen Bewegungen, wie die Frauen-, Friedens- und Ökologiebewegung, deren Formationen zum einheitlichen Agieren gegenüber politischen und gesellschaftsrelevanten Institutionen aufriefen. Sie unterschieden sich in den Strategien kaum von den früheren, sogenannten alten Bewegungen[4] wie der Jugendbewegung[5] oder gar der Arbeiterbewegung[6], die hauptsächlich durch zwei Strategien ihr Ziel erreichen wollten: einerseits durch einen reformistischen Weg, z.B. den der Gewerkschaften, andererseits durch einen revolutionären Weg, den der Theoretiker, die eine grundlegenden Umwälzung des Gesellschaftssystems aus den politischen Maximen des Bürgertums wie Freiheit und Gleichheit, aus dem Ideengeist des Sozialismus und aus der Christlichen Soziallehre forderten.

Eine klare Grenzziehung zwischen alten und neuen sozialen Bewegungen, läßt sich allerdings in der deutschen sozialwissenschaftlichen Bewegungsforschung auch heute noch nicht eindeutig ausmachen. Bis in die 80er Jahre hinein interpretierten die meisten westlichen Sozialwissenschaftler[7] Neue Soziale Bewegungen als Reaktionen auf lebensbedrohende und identitätszerstörende Folgeprobleme technisch-industrieller und machtpolitisch-bürokratischer Systeme. Heute jedoch mag nicht die alte Öko-Bewegung, sondern eine sich neu bildende "Post"-Ökologische Bewegung - mit Rückzugstendenzen ins eigene Sein und der Ablehnung politischer Aktivitäten - hierfür als Beispiel gelten. Es wird zwar die "Einsicht in die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen durch diesen selbst, verbunden mit der Bereitschaft zur Abhilfe"[8] sichtbar, aber es muß darüber hinaus auch die Frage gestellt werden, ob nicht nur ein erhöhtes ökologisches Aktivitätsniveau bis hin zur Glorifizierung eines falschverstandenen Öko-Aktivismus durch einzelne evoziert wird.

In der Soziologie wurden aufgrund des Vorkommens ähnlicher Individualisierungsversuche Vorstellungen von Lebensstilgruppierungen entwickelt, die im Unterschied zur Milieutheorie[9] weniger auf Schicht- und Konfessionszugehörigkeit als vielmehr auf freigewählte Wertpräferenzen und Lebenseinstellungen setzen.[10] Am Beispiel der Helfer und Helferinnen des Freiwilligen ökologischen Jahres in Baden-Württemberg lassen sich solche Lebensstilgruppierungen durch gehobene Bildungsabschlüsse, Suche nach neuen Lebensformen, Ablehnung des technischen Fortschritts, Distanz zu Ökonomie, Politik und Wissenschaft, Betonung von Kreativität, Selbstentfaltung und -verwirklichung, Bevorzugung partnerschaftlicher Beziehungen und sozialer Harmonie, Überschaubarkeit des eigenen Tuns und Handelns in einer ganzheitlich orientierten und nach außen abgegrenzten Umwelt, charakterisieren.[11] Der gravierende Unterschied zu einer postmateriell-linksalternativen und extrovertiert ökologisch-politisch orientierten Lebensstilgruppierung besteht für sie aber darin, daß bei ihnen politisches und auch gesellschaftspolitisches Interesse und Engagement nur gering entwickelt ist oder gar, wenn vorhanden, abgelehnt wird. Kaum einer der FöJ-Helfer des ersten Untersuchungsjahres gehörte z.B. einer parteipolitischen Jugendorganisation oder einer Bürgerinitiative an. Eine Bewältigung der Umweltkrise erwartet die post-ökologische Lebensstilgruppierung offensichtlich weniger von politisch-ökonomischen Problemlösungen oder von einer revolutionären Umgestaltung unseres Gesellschaftssystems, als vielmehr von einem individuellen Einstellungswandel und einer Harmonisierung unserer Gesellschaft.[12] Dieses Vertrauen auf einen inneren (seelischen) Einstellungswandel verrät grundlegende weltanschauliche bzw. religiöse Prädispositionen. Interessant mag dabei sein, daß 40% der FöJ-Helfer und -Helferinnen eine Mitarbeit in Kirchengemeinden bekundeten und 72% davon diese als "aktiv" bezeichneten.[13] Ohne Aufschluß über die inneren religiösen Bindungen zu geben, steht doch allein die äußere Zugehörigkeit und aktive Mitarbeit bei einer Kirchengemeinde im Gegensatz zu der bei anderen Gelegenheiten festgestellten Kirchendistanz bis -ablehnung bei postmateriell-linksalternativ eingestellten Lebensstilgruppierungen. Daraus darf schon geschlossen werden, daß für die Umweltsozialisation eines nicht unerheblichen Teils der Befragten die kirchliche Mitarbeit einen größeren Stellenwert besitzt als ein an Umweltfragen nicht sonderlich interessiertes Elternhaus oder die sich der Umweltproblematik erst allmählich öffnende Schule.[14] Das von den Kirchen geweckte Umweltbewußtsein[15] stößt aber vermutlich innerhalb der kirchlichen Struktur auf Informations- und Aktivitätsbarrieren. Die Folge einer restriktiv-klerikalen Struktur mag es sein, daß sich unsere post-ökologisch orientierten besonders engagiert außerhalb kirchlicher Institutionen Aufgaben suchen, die in einem bestimmten Alter noch als Orientierungsphase für die Selbst- und Berufsfindung definiert sein mögen, später aber bei nicht organisationsfestgelegten Einsatzmöglichkeiten als eine als lebenswichtig angesehene Verpflichtung wahrgenommen werden.

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