Veröffentlicht in TextContext Nr.: 2 1995

Interkulturalität in der Werbung

Eine vergleichende Untersuchung des Computer-Software-Marktführers

"M I C R O S O F T"

in der Bundesrepublik und den USA

von

Helmuth Sagawe und Gudrun Spaan

Im Laufe der letzten fünfzehn Jahre ist der Personal Computer von einem von Mystik umgebenen und nur für Spezialisten zugänglichen Gerät zu einem anthrophomorphisierten Werkzeug (vgl. Sagawe 1990), ja sogar zum "Denkzeug" (vgl. Haefner 1987) geworden, ohne das kein Unternehmen und bald auch kein Haushalt mehr auskommen kann. Die technische Innovation mit "intelligenten" Maschinen überrannte nicht nur den Okzident, auch andere Kulturkreise, wie der Orient und Asien, wurden von der Computerisierungswelle erfaßt. Zum erstenmal in der Geschichte der Technikentwicklung ist nun in vielen Kulturen ein nie dagewesener Trend zur Metaphorisierung und Anthropomorphisierung zu beobachten. Anfangs verstärkt in Fachtexten, später - mit abnehmender Tendenz - in der Werbung, zuerst vorsichtig gebraucht, bald mit allen Facetten des menschlichen Lebens dargestellt, sollte der "Partner Computer" dem Menschen vertraut gemacht werden. (Vgl. Sagawe 1993.) Neben wissenschaftlichen Arbeiten über Metaphorik in der Kommunikation mit und über den Computer im englischen, französischen, spanischen und russischen Sprachraum (vgl. Ackermann 1991, Arndgen 1991, Behret 1991, Luchterhand 1992, Seischab 1991) wurde nun am Institut für Übersetzen und Dolmetschen der Universität Heidelberg eine Untersuchung durchgeführt, die den Facettenreichtum der Computerwerbung interkulturell kontrastiv zu untersuchen hatte (Spaan 1993). Um aber nicht infolge der Interdependenz des Themas unüberschaubaren Problemen ausgesetzt zu sein, soll hier vorerst nur vergleichend auf kulturelle Unterschiede zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland eingegangen, und auch hier methodisch eingegrenzt, nur ein Ausschnitt der Computerwerbung, ein Softwareprodukt einer der größten Firmen in den USA, Microsoft, untersucht werden, das in beiden Kulturkreisen ähnliche Verwendung findet. Schon hier, im Vergleich zwischen der Bundesrepublik und den USA, mit ähnlichen kulturellen Fundierungen, auf die Amerika und Deutschland aufbauen können, sind gravierende Unterschiede in Werbestrategien und Werbeansprüchen feststellbar.

Untersuchungen über das Phänomen Werbung existieren in der Bundesrepublik Deutschland und in den Vereinigten Staaten von Amerika vorwiegend im Konsumgüterbereich, wobei Werbung für langlebige Gebrauchsgüter kaum Beachtung findet - eine Ausnahme: die Autowerbung. Dies mag darauf zurückzuführen sein, daß im Bereich der Gebrauchs- und Investitionsgüter vermutlich weniger Text- und Bildmaterial "werbewirksam" eingesetzt werden kann, als das bei Konsumgütern der Fall ist. Der Phantasie des Gestalters kann hier mehr Spielraum eingeräumt werden, als das bei einer relativ "trockenen" Technik-Werbung für Ingenieure mit weniger transmedialem Vorstellungsvermögen und mehr Anspruch auf Faktenwissen möglich ist, als bei einem Publikum, das psychologisch stimulierende und manipulierende Präsentationen im häuslichen Kontext erfahren kann.

Untersuchungen zum Thema Werbung (vgl. Kirsch-Postma 1978) bleiben auch weitgehend auf die jeweilige Landessprache bzw. den jeweiligen Kulturkreis beschränkt, so daß im Bereich der vergleichenden und interdisziplinären Werbeuntersuchungen ein großes Defizit verzeichnet werden kann. Folgende Fragen könnten bei der hier vorgelegten Untersuchung für den Translator, gesehen als Kultur- und Sprachmittler, einen pragmatischen Charakter gewinnen:

- Wie wird Hardware oder Software in den USA und in den einzelnen Ländern Europas verkauft?

- Wie muß das Produkt dargestellt werden, um Deutsche, Franzosen oder Skandinavier anzusprechen?

- Wie hoch ist der Bekanntheitsgrad einer amerikanischen Firma in dem entsprechenden Land?

- Kennt man z. B. in Frankreich schon die Technik der neural networks?

- Inwieweit ist es notwending und sinnvoll, den Benutzer über solche gedanklichen Experimente und deren Umsetzung aufzuklären?

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, anhand von Fallbeispielen einen Vergleich von Werbekampagnen für MS-WORD in der amerikanischen und deutschen Wirtschafts- und Fachpresse zu erstellen. Es soll untersucht werden, wie für ein und dasselbe Produkt auf dem amerikanischen und dem deutschen Markt geworben wird, und wie dabei kulturelle Unterschiede und Parallelen bemerkbar werden.

Da unter dem Begriff "Werbung" nicht immer nur Werbung verstanden wird, ist zuerst der Begriff als solcher etymologisch zu untersuchen: Im Deutschen teilt der Terminus Werbung sein Bedeutungsfeld mit den Begriffen Reklame, Propaganda und Public Relations. Es ist daher eine ziemlich inkonsistente Verwendung dieser Begriffe im allgemeinen Sprachgebrauch festzustellen. In zahlreichen Publikationen findet man diese Begriffe alternativ und wertfrei verwendet. Der Duden z. B. definiert Werbung allgemein als "Gesamtheit werbender Maßnahmen" und verzeichnet als Synonyme Reklame und Propaganda (Drosdowsky 1989, 1434). Fachleute unterscheiden hier aber sehr wohl.

Der Terminus Reklame stammt aus dem Französischen, wo er 1625 zum ersten Mal belegt wurde, doch erst um 1834 beginnt sich der Begriff seiner modernen Bedeutung zu nähern:

"Article élogieux présentant et recommandant qqch. ou qqn., inséré dans un journal pour remplacer ou compléter une annonce publicitaire." (Petit Robert 1990, 1625)

Die deutsche Sprache übernimmt das Wort rasch, zunächst in französischer Schreibweise; um 1870 hatte sich die Bezeichnung "Reclame" im deutschen Sprachraum bereits endgültig eingebürgert.1 Der Begriff Werbung beginnt Ende der 20er Jahre neben Reklame zu erscheinen und hat ihn in neuester Zeit fast völlig verdrängt. Der Grund dafür mag sein, daß Reklame zunehmend als marktschreierisch und aufdringlich empfunden wurde, der "Werbende" weist sich dagegen als ein um die Gunst des Kunden Bemühter aus, der nicht durch Lautstärke, sondern durch Plausibilität seiner Argumente zum Kauf anregen will. Bemerkenswert ist, daß sowohl in Frankreich als auch in Italien der zunehmend als negativ empfundene Begriff "réclame" durch "publicité", bzw. "publicità" verdrängt wurde. Auch hier ist "réclame" selbst ungebräuchlich.

In der Computerbranche fällt der Öffentlichkeitsarbeit eine besonders wichtige Rolle bei der Verkaufsförderung zu, ja man könnte behaupten, daß sie mit der Werbung rivalisiert. Auf dem hart umkämpften Computermarkt ist der Großteil der Öffentlichkeitsarbeit produktbezogen; nur ein kleiner Teil beschäftigt sich mit der Verbreitung eines positiven Unternehmensimages (Corporate Public Relations). PR-Fachleute, sei es im Unternehmen oder einer Agentur, sind um ein gutes Verhältnis zu Journalisten, Kolumnisten und Meinungsführern der Fach- und Wirtschaftspresse bemüht, besonders zu jenen, die über ihr Produkt schreiben. Der Journalist wird durch die PR-Fachleute laufend über Neuerscheinungen und neue Produkt- und Testversionen informiert, und er wird von Produktmanagern im Rahmen von Pressetouren aufgesucht. Diese Art aktiver, sehr produktbezogener Öffentlichkeitsarbeit ist in der Computerbranche notwendig, da fast der gesamte Inhalt von Computerfachzeitschriften aus dem Vergleich und der Rezension von Produkten besteht. Auf dem Markt konkurrierende Produkte werden darin bis auf das kleinste Detail miteinander verglichen, wie z. B. in der Serie Head to Head in Personal Computing, wo WORD mit WORD PERFECT verglichen wird. (Vgl. Personal Computing, Mai 1988:127) Deshalb können solche Beiträge, aber auch die Meinung eines angesehenen Kolumnisten wie z. B. Bill Machrone des "PC Magazine"/USA (Herausgegeben von Ziff Davis) sehr wohl den Absatz eines Produktes beeinflussen, obwohl dies noch weniger meßbar als bei der Werbung sein mag. Wie wichtig die Meinung dieser opinion leaders ist, beweist auch, daß sie in Werbeanzeigen auftreten.

Von Propaganda spricht man, wenn es bei der Werbung um die Verbreitung politischer, religiöser oder kultureller Inhalte geht. Der Duden definiert sie als

"systematische Verbreitung weltanschaulicher oder ähnlicher Ideen und Meinungen mit dem Ziel, das allgemeine Bewußtsein in bestimmter Weise zu beeinflussen" (Duden 1989, 1187).

Propaganda bedient sich jedoch nicht nur der klassischen Werbemittel und Werbeträger, sondern wird auch mehr oder weniger indirekt durch Reden, Spiel- und Dokumentarfilme, Veranstaltungen und Bücher verbreitet. Besonders im Deutschen, aber auch im Englischen hat der Begriff heute eine negative Konnotation, die eine fragwürdige Intention des Senders vermuten läßt. Oft werden damit Begriffe wie "nationalsozialistische" oder, aktueller, "neonazistische Prodaganda", "Propagandafilm", "Propagandalüge" assoziiert. Die Beziehung zwischen Propaganda und Wirtschaftswerbung wird wohl in folgendem Ausdruck deutlich: Er macht doch nur Propaganda für sein Buch.

Auch das englische advertising teilt sein Bedeutungsfeld mit verwandten Begriffen, wie promotion, publicity, public relations, wobei propaganda weniger im Zusammenhang mit Wirtschaftswerbung benutzt wird. Der Begriff advertising stammt von dem mittelenglischen a(d)vertise ab, der wiederum auf das altfranzösische advertir zurückgeht (vgl. William 1969, 19). Es ist wohl auf die insuläre Lage Englands, als auch auf seine Jahrhunderte alte Rivalität mit Frankreich zurückzuführen, daß der Begriff reclame sich nie im englischsprachigen Raum eingebürgert hat.

Das Collins Cobuilt English Dictionary definiert Werbung schlicht und einfach als

"activity of telling people about products and making them want to buy them" (Collins Cobuild English Dictionary 1991, 22).

Als Synonyme werden promotion und publicity angeführt. Dabei wird advertising automatisch mit Produktwerbung gleichgesetzt. Dies ist aber nicht zutreffend und auch im Englischen wird eine inkonsistente Verwendung der Begriffe in der Alltagssprache ersichtlich. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wird Werbung definiert als:

"Advertising is any impersonal form of communication about ideas, goods, or services that is paid for by an identified sponsor. It is usually transmitted by mass media - newspapers, magazines, television, radio, direct mail, outdoor billboards, and transit cards". (Hiam + Schewe 1992, 364).

Promotion wird im Unterschied zu sales promotion als Oberbegriff im Sinne von Unternehmenskommunikation benutzt, dem advertising und public relations untergeordnet sind (ib., 359). Die American Marketing Association definiert sales promotion (dt.: Verkaufsförderung/Absatzförderung) als:

"those marketing activities, other than personal selling, advertising, and publicity, that stimulate consumer purchasing and dealer effectiveness, such as displays, shows and expositions, demonstrations, and various nonrecurrent selling efforts not in the ordinary routine" (zit. n. Hiam + Schewe 1992, 377).

In den USA läßt sich eine Tendenz zur Reduzierung der "klassischen" Medienwerbung zugunsten von verkaufsfördernden Maßnahmen (promotion), z. B. durch die Verwendung von Coupons, feststellen (Buzzell + Quelch + Salmon 1990; zit. n. Hiam + Schewe 1992, 377). So ist für den Durchschnitt der amerikanischen Unternehmen in den letzten zehn Jahren der Anteil der "klassischen" Mediawerbung am Werbeetat von 40% auf 30% zugunsten verkaufsfördernder Maßnahmen zurückgegangen.

Publicity besteht aus der Gesamtheit aller Maßnahmen, die geeignet sind, den Ruf einer Firma zu fördern, bzw. das Interesse der Öffentlichkeit für ein Unternehmen, bestimmte Erzeugnisse, Ideen usw. zu wecken.

"[...] publicity is not paid for at established rates, and the sponsor is not identified. Usually, publicity appears - unidentified as such - in the editorial or news columns of printed media or in the noncommercial portion of radio or television programs." (Dunn 1969, 9)

Publicity kann daher auch das Ergebnis von Public Relations und Werbung sein. Es wird behauptet, daß public relations der übergeordnete Begriff von promotion sei, der auch advertising umfasse (ib., 10). Nach unseren Erfahrungen und Informationen dagegen befaßt sich in der Praxis die PR-Agentur oder PR-Abteilung eines größeren Betriebes nicht mit Medienwerbung. Schlechthin scheint man dennoch unter public relations Unternehmenskommunikation (von Hiam + Schewe 1992 als promotion bezeichnet) zu verstehen, obwohl in der Praxis Werbung und Öffentlichkeitsarbeit zwei gesonderte Abteilungen darstellen.

Trotz der Nuancierungen der für Werbung gebräuchlichen Begriffe im Englischen und im Deutschen ist es bislang selbst in der Fachliteratur nicht gelungen, die Vielzahl von Formen der Werbung in ein erschöpfendes und gleichzeitig praxisgerechtes Klassifikationsschema einzuordenen. Das liegt daran, daß von den zahlreichen verwendeten Einteilungskriterien keines dominiert. Je nach Problemlage sind unterschiedliche Kriterien der Einteilung nötig (vgl. Kaiser 1980, 6). Hier seien nur einige der wichtigsten angeführt: Zweck, Zielgruppe, Art der Werbebotschaft, intendierte Reichweite der Botschaft, Werbemittel und Medien, auf deren Differenzierung wir hier nicht näher eingehen können.

Zusammenfassend kann aber der hier behandelte Untersuchungsgegenstand, die Anzeigenwerbung für Microsoft WORD, als Wirtschaftswerbung charakterisiert werden, die sich aus Produkt- und Firmenwerbung zusammensetzt. Das angesprochene Publikum besteht sowohl aus Unternehmen wie aus Privatpersonen. Daher findet man eine Kombination aus Handels- und Endverbraucherwerbung vor.

Geht man entsprechend dem Verständnis von Wirtschaftswerbung nach Hasseloff vor, wo sie

"die geplante öffentliche Kommunikation zum Zwecke einer ökonomisch wirksamen Information, Persuasion und Entscheidungssteuerung" (Hantsch 1975, 138)

darstellt, so muß jede Werbeanzeige als Einheit von sprachlichen und ikonischen (Bild-)Informationen angesehen werden. Ihre Gesamtwirkung entsteht durch das Bild, den begleitenden Text und die typographischen Gestaltungsmittel. Das verbale Register einer Werbeanzeige ergibt sich in der Regel aus der Headline, der sogenannten Body Copy als argumentierendem Textteil und dem Slogan als Zusammenfassung der Werbebotschaft in einem prägnanten Satz, der gleichzeitig auch die werbende Firma charakterisiert. Auf die Struktur der Werbeanzeigen und das Zusammenwirken von Wort und Bild wird später eingegangen. Die Bausteine einer Werbeanzeige (Bild, Headline, Body Copy und Slogan) haben internationale Geltung, d. h., dieselben Regeln für Anzeigen gelten sowohl in Deutschland als auch in den USA.

Damit Werbung Erfolg haben kann, muß sich der Werbende bewußt sein, daß diese als komplexes kulturelles Phänomen in viele Gebiete anderer wissenschaftlichen Disziplinen hineinreicht.

"So hat Werbung, auch als Wirtschaftswerbung betrieben, in starkem Maße einen psychologischen und soziologischen Aspekt. Das Erreichen und Beeinflussen von Menschen muß die Erkenntnisse psychologischer Abläufe und Mechanismen der Wahrnehmung, Verarbeitung und Speicherung sowie Rückkopplung ebenso berücksichtigen, wie Gruppenverhalten, Gruppennormen etc." (Huth + Pflaum 1980, 12)

Darüber hinaus unterliegt Werbung bei der zentralen Aufgabe der Gestaltung von Werbemitteln einem gestalterischen, ja oft künstlerischen Einfluß. Die technische Komponente liegt in der Produktion von Werbemitteln (Druck, Filmproduktion etc.); und nicht zuletzt gilt es, juristische, insbesondere wettbewerbsrechtliche Aspekte bei den einzelnen Maßnahmen zu berücksichtigen. Der ökonomische Aspekt von Werbung ist sowohl von gesamt- wie auch betriebswirtschaftlicher Relevanz. Werbung als Pänomen ist demnach nicht nur auf das Wirtschaftsleben begrenzt, sondern erfaßt letztlich alle Bereiche des menschlichen Lebens. Ihre Allgegenwärtigkeit im täglichen Leben der Bürger kapitalistischer, auch der sich heute anpassenden sozialistischen Gesellschaftsordnungen hat oftmals zu kontroversen Auseinandersetzungen geführt. Dennoch wird Werbung allgemein als notwendiger Bestandteil marktwirtschaftlicher Ordnung akzeptiert. (Vgl. Jahrbuch der Werbung, Marketing-Kommunikation in Deutschland, Österreich und der Schweiz 1991; Januschek 1974). In ihrer "Sprachrohrfunktion" informiert sie den Verbraucher über das auf dem Markt bestehende Güter- und Dienstleistungsangebot und erleichtert so den Überblick über die jeweilige Marktlage. Gleichzeitig fördert sie auch das Streben der Menschen, ihre Lebensumstände zu verbessern:

"Advertising nourishes the consuming power of men. It creates wants for a better standard of living. It sets up before a man the goal of a better home, better clothing, better food for himself and his family. It spurs individual exertion and greater production. It brings together in fertile union those things which otherwise would never have met." (Winston Churchill zit. n. Dunn 1969, 5)

Dagegen mag argumentiert werden, daß Informationen in der Werbung nur darauf abzielen,

"emotionale Kaufentscheidungen durch rechtfertigende Argumente so abzustützen, daß die Widerstände der eigenen Vernunft und die Kritik der Mitmenschen überwunden werden können" ("nikotinarm im Rauch") (Kaiser 1980, 65).

Überdies erfährt der Konsument nur die "halbe Wahrheit", da die nicht werbewirksamen Eigenschaften in der Regel verschwiegen werden. Die Werbung

"befindet sich [...] in der Rolle eines Anwalts, der all das vorträgt, was für seinen Mandanten spricht" (Nieschlag + Dichtl + Hörschgen; zit. n. Kaiser 1980, 65).

Dies hat ihr den Vorwurf der (verdeckten) Unwahrhaftigkeit eingebracht. Der häufigste gegen die Werbung erhobene Vorwurf lautet, daß sie mit ihrer konzentrierten Kraft die hilflosen Konsumenten manipuliere, indem sie ihnen unterschwellig neue Bedürfnisse einrede. (Hauptvertreter dieses Standpunktes ist Vance Packard (1970)).

"The men and women who hold up these glowing images, particularly the professional persuaders, typically do so with tongue in cheek. [...] Typically they see us as bundles of daydreams, misty hidden yearnings, guilt complexes, irrational emotional blockages. We are image lovers given to impulsive acts. We annoy them with our seemingly senseless quirks, but we please them with our growing docility in responding to their manipulation of symbols that stir us to action." (Packard 1970; zit. n. Dunn 1969, 5)

Dem mag widersprechen, daß ein Großteil aller neuen Produkte - trotz intensiver Werbeunterstützung - am Markt nicht durchsetzbar ist. Zahlreiche Untersuchungen berichten von Versagerquoten um 90%. (Einige Beispiele für Fehlschläge bei renommierten Unternehmen: Ende der 70er Jahre sind "Bold" und "Cascade" (Proctor & Gamble), "Das geballte Bunt" und "All" (Lever Sunlicht), "Maxwell Exquisit" (General Foods) ohne Erfolg gelaufen; in der Zigarettenbranche sind Fehlschläge sogar die Regel: auf einen Erfolg kommen 30 Flops. (Kaiser 1980, 66)). Dafür könnte auch die Preispolitik oder Produktgestaltung verantwortlich sein, doch sie läßt erkennen, daß die Sugestivkraft der Werbung nicht unbegrenzt ist.

Waren und Gegenstände des täglichen Gebrauchs werden semantisiert (vgl. Barthes 1969, 41). Dadurch egibt sich für die Werbetreibenden die Möglichkeit, sich das Bedürfnis nach Gruppen- und Klassenzugehörigkeit, nach Identifizierung usw. zunutze zu machen. Kleidung ist z. B. eine Ware, die gleichzeitig materielle und soziale Bedürfnisse befriedigt.2 Bei technischen Produkten kann dies kaum der Fall sein, da diese primär schon existierende materielle Bedürfnisse befriedigen. Eine Ausnahme davon bilden Autos, die in fast allen Kulturen ein Statussymbol darstellen.

Die Tatsache, daß Werbung an Wertvorstellungen in der Gesellschaft appelliert, um Waren zu verkaufen, beweist, daß das Phänomen Werbung vor allem ein kulturelles Faktum ist, das ökonomische, juristische, soziologische, psychologische, technische und gestalterische Aspekte nicht außer acht lassen kann.

"Werbung ist Bestandteil wie gleichzeitig Spiegelbild einer Kultur, einer Gesellschaft. Werbestile sind immer auch Gestaltungsstile eines bestimmten Stadiums kultureller, künstlerischer, gesellschaftlicher, politischer und auch technologischer Entwicklung. Werbung hat unter diesem Aspekt Symptomwert. [...] Werbung war und ist also immer auch Ausdruck eines Zeitgefühls, eines Standards gesellschaftlicher Wertvorstellungen und auch von Wunschvorstellungen des persönlichen Lebensstils: Produkte werden im Umfeld eines bestimmten Lebensgefühls, einer erstrebenswerten Lebenshaltung, eines Lebensstils angeboten." (Bergler 1982, 31)

Werbung als "grande poésie populaire" (Gruning 1990; zit. n. Kuntz 1990), als "miroir culturel" (Cathelat 1887; zit. n. Kuntz 1990) - unter diesem Gesichtspunkt soll Werbung hier betrachtet werden und sollen kulturelle Unterschiede und Parallelen in beiden Kulturen - Deutschland und USA - aufgezeigt werden. Oftmals wird behauptet, daß multinationale Konzerne dazu neigen, ein und dieselbe Werbekampagen weltweit anzuwenden (vgl. Ogilvy 1983, 178). Dabei stoßen sie jedoch oft auf Widerstand bei der Leitung ihrer Tochtergesellschaften, die auf eigenen, auf das jeweilige Land zugeschnittenen Kampagnen bestehen. Die Filialen argumentieren, daß es sich um einen anderen Markt handle, und daß sie bei ihren Kunden nicht das Image eines Werkzeuges der Multis erwecken dürfen. Dies wird als NIH-Syndrom bezeichnet

"Not Invented Here: "Any campaign not invented in your country is a threat to your self-respect". (Ogilvy 1983, 178)

Aber die Erfahrung hat auch gelehrt, daß internationale Kampagnen Erfolg haben können: so z. B. die Esso-Kampagne mit der Headline "Put a Tiger in Your Tank", die in 34 Ländern erfolgreich war.3 Ob generell gesagt werden kann, daß in den USA erfolgreiche Kampagnen auch in anderen Ländern gut ankommen, wie Oglvy behauptet, soll dahingestellt bleiben. Die Microsoft Corporation ihrerseits hat der Notwendigkeit der Anpassung an den kulturellen Kontext Rechnung getragen. Ihre Tochtergesellschaften haben in den Ländern, wo sie vertreten sind, lokale Werbeagenturen mit den nationalen Werbekampagnen beauftragt. Ein multinationaler Konzern wie Microsoft4 muß bei seiner internationalen Marketing-Strategie unter anderem folgende Faktoren beachten: den ökonomischen und kulturellen Kontext (Sprache, Religion, Wertvorstellungen und Einstellungen, ethnische Gesichtspunkte, Bildungsgrad der Bevölkerung, Klassenstruktur der Gesellschaft), den Stand der Technik, geographische Faktoren sowie das politische und juristische Umfeld.

In bezug auf wirtschaftliche Entwicklung und Kaufkraft sind Deutschland und die USA als führende westliche Industrieländer vergleichbar. Eine wesentlich größere Konkurrenz der amerikanischen Softwarehersteller untereinander einerseits, die sich u. a. durch sogenannte Kampfpreise äußert, und ein hohes Markenbewußtsein bzw. Markentreue in Deutschland andererseits, haben dazu geführt, daß Softwareprodukte auf dem deutschen Markt wesentlich teurer sind als in den USA. Auch im Vergleich zum europäischen Ausland vermag Microsoft in Deutschland die höchsten Preise zu erzielen; dafür ist Deutschland auch führend, was Raubkopien anbelangt.

Das wichtigste Element eines Kulturkreises ist die Sprache: um von den Konsumenten des neuen Marktes verstanden zu werden, muß Werbung zumindest in die Landessprache übersetzt werden. Ungenügende Kenntnis der Zielsprache hat schon einige Produzenten beträchtliche Einbußen gekostet: Es wird der Fall eines deutschen Schokoladenexporteurs, der sein Produkt unter dem Namen "Zit" auf den amerikanischen Markt einführen wollte, zitiert5. Es erübrigt sich hier wohl anzumerken, daß diese Kampagne in Amerika nicht erfolgreich war (Hiam + Schewe 1992, 80).

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