Multivariates Modell
des Übersetzens und Dolmetschens
im Rahmen der Übersetzungs- und Dolmetschwissenschaft
Inhalt /Kurzfassung des Projektes
von
Dr. phil. Helmuth Sagawe
Klappentext
Das Übersetzen aus einer Sprache in eine andere ist mehr als nur der Transfer von "Fakten". Dieser Tätigkeit liegt ein komplexer Vorgang zugrunde, der in mehreren Dimensionen menschlichen Handelns abläuft und von zahlreichen Determinanten bestimmt wird.
"Übersetzen" als Translatorisches Handeln impliziert jenen Kulturtransfer, der als eine spezielle Kategorie des "Kommunikativen Handelns" angesehen werden muss und in der akademischen Ausbildung entsprechender Perzeption bedarf.
Vorwort
Im Zuge der Globalisierung unserer Welt wird die Tätigkeit des Überset-zers und Dolmetschers zunehmend als bedeutsame Aufgabe anerkannt. Bisher dachte kaum jemand daran, daß Übersetzen von einer Sprache in eine andere mehr als der Transfer von "Fakten" von einer Sprache in eine andere sei. Erst eine wissenschaftliche Betrachtungsweise hat allgemein ins Bewußtsein gerückt, daß dieser Tätigkeit ein komplexer Vorgang zugrun-de liegt, der in mehreren Dimensionen menschlichen Handelns abläuft und von zahlreichen Determinanten bestimmt wird. In diesem Sinne verstehen wir "Übersetzen" als Translatorisches Handeln, das als eine Kulturtransfer implizierende spezielle Kategorie des "Kommunikativen Handelns" (vgl. Habermas: 1981) angesehen werden kann. Schon 1984 ist die Tätigkeit der Übersetzer wissenschaftlich als Theorie des Translatorischen Handelns kommunikations-, handlungs- und sytemtheoretisch untersucht worden (vgl. Holz-Mänttäri: 1984). Diese als Sozialisationstranslatologie bezeich-nete Konzeption ist mit dem hier vorgestelltem Translatorischen Hand-lungsinventar wohl in vielen Punkten vergleichbar, doch wurde in unserer Untersuchung von einem anderen Ansatz, mit entsprechenden vorzuschla-genden Konsequenzen für die akademische Ausbildung, ausgegangen.
Aus wissenschaftstheoretischem Interesse stellte sich aus unserer Betrach-tungsweise die Frage, welche Determinanten diesem speziellen Handlungs-typus zugrunde liegen: Welche Faktoren sind bei der Erstellung einer Übersetzung relevant? Sind es nur ausbildungsspezifische Faktoren oder kann man von einer Interdependenz auch ganz anderer und in der Überset-zungswissenschaft noch nicht diskutierter Faktoren sprechen? Eine Analyse des Ausbildungssystems ließ erkennen, daß der Schwerpunkt der Überset-zerausbildung im sprachwissenschaftlichen Bereich liegt, während der kommunikative und kulturspezifische Bereich weitgehend diesem unterge-ordnet wird. In einem von uns erarbeiteten "Translatorischen Handlungs-inventar" trugen wir alle erfaßbaren und möglicherweise relevanten Variablen zusammen, die in irgend einer Weise einen Einfluß auf die Erstellung einer Übersetzung haben könnten. Eine Befragung von Fachleu-ten ergab anschließend, daß vom tradierten Verständnis der Übersetzeraus-bildung stark divergierende Meinungen abgegeben wurden. Die Ausstat-tung des Übersetzerarbeitsplatzes stand hier im Vordergrund, aber gleich-rangig war auch die Sprachkompetenz bewertet worden. Diese setzt sich aber nicht aus sprach- und übersetzungswissenschaftlichen Inhalten zu-sammen, sondern wird abgeleitet von Auslandserfahrung, Kompetenz in Mutter- und Fremdsprache. Wesentliche weitere Komponenten für transla-torisches Handeln stellen, für die Gruppe der befragten Übersetzungsprak-tiker, die Kategorien Psyche, Kultur, Berufliches und Soziales dar.
Als Ergebnis dieser Untersuchung ist festzuhalten, daß eine überwiegend linguistisch orientierte Übersetzerausbildung, wie sie derzeit noch an vielen Universitäten praktiziert wird, nicht den Erfordernissen des translatorischen Handelns im Kontext des kommunikativen Handelns entspricht und daß, um den Anforderungen dieses Berufes gerecht zu werden, verstärkt die Richtung einer kulturtransfer-orientierten Kommunikationswissenschaft eingeschlagen werden sollte.
Diese Untersuchung ist nicht nur gedacht für den Studienanfänger der Übersetzungswissenschaften mit Abschluß zum Diplom-Übersetzer, der hier erfahren kann, mit welcher Realität er im Studium konfrontiert wird, auch nicht nur für Dozenten und Professoren, für die die Ergebnisse dieser Untersuchung einen "Wink mit dem Zaunpfahl" sein müßten, sondern sie ist auch für Politiker gedacht, die letztlich über die Berufung von Hoch-schullehrern zu entscheiden haben und somit Einfluß auf Inhalte und Richtung von universitären Ausbildungseinrichtungen haben. Auch sie sollten durch diese Untersuchung Denkanstöße und Entscheidungshilfen bekommen.
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