Eine Untersuchung über das Freiwillige ökologische Jahr in Baden-Württemberg (Modellprojekt)

Teil 2

von

Helmuth Sagawe

Die Untersuchung: In allen drei Modelljahren basierten die Untersuchungen in Baden-Württemberg auf standardisierten und halbstandardisierten Fragebögen und teilnehmender Beobachtung bei den Seminaren. Hinzu traten Erkundungen bei den Einsatzstellen und offene Interviews mit Einsatzstellenleitern und Teilnehmern vor Ort.

Die Schwierigkeiten, die bei der Untersuchung des ersten Modelljahres aufgetreten waren, blieben im wesentlichen dieselben, da sich der Problemgruppencharakter der zu untersuchenden sozialen Gruppe nicht wesentlich geändert hatte.

(a) Die Teilnehmer des FÖJ stehen der Wissenschaft distanziert gegenüber; sie halten u.a. wenig von Meinungsbefragungen mit Computerauswertung.

(b) Die Untersuchung war manchen Teilnehmern zu anonym; sie hätten daher keine Bedenken dagegen gehabt, daß ihre Antworten ihrer Person zugeordnet werden. Dies war aber aus datenrechtlichen Gründen nicht möglich.

(c) Die Teilnehmer lehnen eine "beobachtende Teilnahme" der Seminare ab. Was sie wünschen, ist eine volle Integration der Beobachter in die Seminargemeinschaft, einschließlich der Anrede in der 2. Person Singular ("Du"). Dies bezog sich auch auf die Seminarleitung der Landeszentrale für politische Bildung, die ab dem zweiten Modelljahr diesem Wunsche nachkam und auf intensive personale Beziehungen mit den Teilnehmern einging.

Aus obigen Gründen war zwangsläufig jeweils eine Abnahme der Untersuchungsbeteiligung von über 90% bis 45% im Laufe eines jeden Untersuchungsjahres festzustellen.

Teilnehmer: Die Teilnahme am FÖJ begründen unsere Teilnehmer/innen über die drei Jahre hinweg mehrschichtig. Während hier das Umweltschutzinteresse bei der Entscheidung einen höheren Anteil für sich beanspruchte - immerhin gaben über 70% aller Teilnehmer/innen an, aus Umweltschutzinteresse am FÖJ teilgenommen zu haben - , lag die Beurteilung der anderen Aspekte, wie Zukunftsperspektive und Bedürfnis nach Bildung und Wissen über die Natur an nachgeordenter Stelle. Die Einheit aller dieser Aspekte und ihrer Interdependenz zur Umwelt und Gesellschaft dürfte aber erst ein relativ genaues Bild der Teilnehmer/innen verschaffen.

Das Interesse am Umweltschutz ist wiederum, wie erwähnt, unterschiedlich motiviert: etwa 60% der Teilnehmer/innen im zweiten Untersuchungsjahr verknüpften ihre Entscheidung mit der Berufs- und Zukunftsperspektive. Hier wird deutlich, daß die Teilnehmer/innen zukunftsorientiert handeln, worauf dies auch immer begründet sein mag. Zu erklären wäre dies mit einer hohen Korrelation zwischen Umweltschutzinteresse und Zukunftsperspektive. Ohne Zweifel suchen die Teilnehmer/innen Kontakt mit der Natur oder zumindest mit etwas Neuem. Etwa 35% begründen ihre Wahl mit moralisch-ethischen Gründen, jedoch ihr Haupinteresse liegt in ihrer Berufs- und Zukunftsperspektive bzw. in der Angst und Unsicherheit vor der Zukunft sowie ihrer eigenen verunsicherten seelischen Lebensfundierung. Die bedeutende Triebkraft des Verhaltens der Teilnehmer/innen ist also Angst und Unsicherheit. Sie versuchen, aus ihren Ängsten heraus zu handeln und wandeln ihre psychische Destabilisation auf der Handlungsebene in Aktivismus um. Diese Deutung wird dadurch bestätigt, daß 75% die Aussage "Ich sehe keine ernsthafte Bedrohung für unsere Zukunft, wir werden mit unseren Problemen schon fertig werden" strikt verneinen. Auch die Zustimmung der Teilnehmer/innen (56%) zur Aussage "In der heutigen Zeit kann man es eigentlich gar nicht verantworten, Kinder in die Welt zu setzen" unterstützt unsere Annahme.

50% der Teilnehmer/innen interessieren sich zwar für Umweltschutz und politische Entscheidungen, jedoch der herrschenden Politik stehen sie grundsätzlich skeptisch und oppositionell gegenüber. Sie lehnen mit Entschiedenheit die Gewalt als Mittel der Durchsetzung ab, denken und handeln beim Umweltschutz wenig mit politischer Weitsicht. Ihr Umweltbewußtsein bleibt vorwiegend auf dem Niveau der Verneinung und der individuellen Entscheidungsfindung stehen. Bewertungen von Aussagen wie: "Umweltprobleme lassen sich nur durch politische Entscheidungen lösen", zeigen, daß die Teilnehmer/innen wenig in politischen Kategorien denken können.[16]

Um den Kontrast zwischen Politik und Ethik als zwei unterschiedlichen Einflußmerkmalen im Umweltschutz aufzeigen zu können, betrachten wir Antworten auf Fragen wie "Ohne eine Umweltethik ist unsere Umwelt nicht zu retten!", in der Ethik mit 79% im Gegensatz zu politischen Mitteln mit 50% als Lösungsansatz angesehen wird. Antworten zu Parteizugehörigkeit und Aktivitäten in Umweltvereinen und Bürgeriniativen macht den Sachverhalt noch deutlicher.

Ein weiterer gemeinsamer Punkt, der unsere Teilnehmer charakterisiert, ist ihr Bildungsnivau. Sie rekrutieren sich hauptsächlich aus der höheren Schule (86%) und besitzen das Abitur. Auch kommen sie aus oft politisch konservativ eingestellten Familien, in denen die Eltern dennoch teilweise oder ganz ökologisch orientiert sind (68%), was zur Entwicklung ihres Umweltbewußtseins und -verhaltens beitragen kann. Die Tatsache, daß die Eltern meist in der Lage sind, ihre Kinder finanziell zu unterstützen (59%), mag ein weiteres Indiz für einen relativ bildungsorientierten und wohlsituierten Familienhintergrund sein.

Dennoch kritisieren die Teilnehmer ihre finanzielle und soziale Lage während des FÖJ. Die Aussagen dieser und weiterer Kritikpunkte sowie Verbesserungsvorschläge, lassen diese prekäre Situation noch deutlicher hervortreten.

Es läßt sich demnach folgendes zusammenfassen: die Teilnehmer/innen entscheiden sich hauptsächlich aus Zukunftsängsten, aus Ängsten um ihre Lebensgrundlage und ihre Berufsperspektive für das FÖJ.

Diese Entscheidung wird im wesentlichen durch die Liebe zur Natur und ein partiell bereits gebildetes Umweltbewußtsein sowie durch die relativ gesicherte finanzielle Situation des elterlichen Hintergrundes gestützt.

Weiterbildung der Teilnehmer durch Seminare der Landeszentrale für politische Bildung: Für die Weiterbildung der Teilnehmer am FÖJ trägt die Landeszentrale für Politische Bildung in Baden-Württemberg die Verantwortung. Sie ist federführend bei der Organisation aber auch bei der inhaltlichen Wissensvermittlung und Festlegung des politischen Standorts von ökologischen Problemen oder dessen Aussparung. Schwierigkeiten bereitet dies insofern, da sich in den Seminaren Teilnehmer/innen mit verschiedenen Interessen und Wissensgrundlagen treffen, aber auch verschiedene politische und apolitische Standpunkte vertreten werden. Während beispielsweise die Teilnehmer/innen von Einsatzstellen des Bundes für Naturschutz oder aus Einsatzstellen in Gemeindeverwaltungen politisch-gesellschaftliche und auch nicht zuletzt verwaltungsorientierte Einblicke und Kenntnisse mitbringen, können die Teilnehmer/innen aus dem landwirtschaftlichen Bereich von ihrer Einsatzstelle mehr biologisch-naturwissenschaftliche Sachkenntnisse vorweisen. Dieser Sachverhalt macht die Situation für das dreiköpfige pädagogische Team der Landeszentrale nicht ganz einfach. Oftmals muß so der Versuch scheitern, Wissenslücken oder Wissensdifferenzen zu relativieren und ein differenziertes Umweltbewußtsein und umweltpolitisches Interesse zu erregen bzw. zu vermitteln.

Die Zufriedenheit mit den Seminaren ist nicht so hoch wie die mit den Einsatzstellen. Die Frage "Wie beurteilst Du Deine Seminare?" beantworteten etwa 14% der Teilnehmer/innen mit "sehr gut" - vs. 40% in bezug auf die Einsatzstellen. Die Teilnehmer beziehen ihre Zufriedenheit mit den Seminaren mehr auf zwischenmenschliche Kontakte und weniger auf die Seminargestaltung und -inhalte. Da die Unzufriedenheit mit den Seminaren größer ist als mit den Einsatzstellen, lagen auch hier mehr konstruktive Verbesserungsvorschläge vor. Kritikschwerpunkte waren die "vollgestopften Programme" und die "schlechten Möglichkeiten, die Seminargestaltung zu beeinflussen".

So gesehen mag es plausibel erscheinen, wenn aus der Sicht der Teilnehmer/innen die Funktion der Seminare mehr in der Reduzierung auf Aspekte wie Erfahrungsaustausch und Selbstverwirklichung gesehen wird. Etwa 70% wünschen Änderungen in der Seminargestaltung, z.B. möchten sie größeren Einfluß auf die Seminare nehmen können. Auch sollten durch die Seminare mehrdimensionale Informationen im nicht nur naturwissenschaftlichen Sinne vermitteln werden.

Teilnehmer und Einsatzstellen: Aus der dualen Konzeption des FÖJ heraus ergibt sich, daß die Teilnehmer/innen ihr FÖJ überwiegend in den Einsatzstellen verbringen: 42 Wochen leben und arbeiten sie hier und nur 5 Wochen besuchen sie die Seminare. Allein dieses Zeitverhältnis ist Grund dafür, den Erfolg oder Mißerfolg des Projektes im wesentlichen bei den Einsatzstellen festzumachen. Der Erfolg wäre gewährleistet, wenn das FÖJ optimal in einem gesamtumweltgesellschaftlichen Kontext integriert werden könnte, dessen volkswirtschaftlicher Nutzen erkennbar sein würde.

- Hierzu sollten zu gleichen Teilen sowohl theoretische als auch praktische Sachkenntnisse in den Seminaren und Einsatzstellen vermittelt werden.

- Die Einsatzstellen sollten in Einzelfällen auch auf Wunch der Teilnehmer/innen während des Jahres gewechselt werden können, um eine anvisierte breitere Ausbildungsvielfalt zu erreichen. Eine Mischung von Theorie und Praxis bedarf daher programmatische Hintergründe, die nicht nur alleine von einer Institution wie die der Landeszentrale für politische Bildung geschaffen werden kann, sondern hier sollten ebenfalls Umweltverbände, der BUND sowie andere Umweltorganisationen oder auch Bildungseinrichtungen des Umweltministeriums einbezogen werden.

Dennoch sind die Teilnehmer/innen mit ihrer Tätigkeit und auch ihren Kollegen im allgemeinen zufrieden. Die Mittelwerte in diesem Bereich tendieren in Richtung "Zufriedenheit", die qualitativen Äußerungen über die Einsatzstellen stimmen insofern überein.

50% der Teilnehmer bewerteten ihre Einsatzstelle sowie ihre Einsatzstellenwahl als optimal ("sehr gut"). Sie weisen weiterhin auf große Zufriedenheit am Anfang ihrer Tätigkeit hin. 27% der Teilnehmer/innen bewerteten ihre Einsatzstellenwahl mit "gut". Diese Zufriedenheit relativierte sich natürlich am Ende des Jahres, indem die Bewertung von "sehr gut" sich auf 40% reduzierte und "gut" auf 40% anstieg. Man kann davon ausgehen, daß die Wahl der Einsatzstellen im großen Umfang richtig getroffen wurde. Es gab zwar Personen, die ihre Einsatzstelle als "relativ schlecht" bezeichneten, der allgemeine Trend im Laufe des Jahres jedoch war eine Erhöhung der Zufriedenheit in den Einsatzstellen.

Die Zufriedenheit mit den Einsatzstellen war in der Regel groß. Es gibt zwar partielle Kritikpunkte, diese halten sich jedoch in Grenzen. Meist sind die Teilnehmer/innen über organisatorische Gegebenheiten unzufrieden.

41,7% waren mit der Organisation in ihrer Einsatzstelle unzufrieden. Die anderen Kritikpunkte hatten quantitativ betrachtet keine große Bedeutung, aber qualitativ betrachtet mögen sie nicht unwesentlich sein.

Unsere Teilnehmer/innen hatten sehr verschiedene Tätigkeiten auszuführen. Sie erstreckten sich in Einzelfällen bis auf fünf verschiedenen Tätigkeiten. Tätigkeitswechsel fand je nach Anforderung statt. Sie berichteten weiterhin, wie schwer manchmal ihre Aufgabe war und wie sie mit ihrem Engagement und Interesse die sich daraus ergebenden Probleme lösen konnten. Im großen und ganzen stört es sie aber nicht, unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen zu müssen. Sie betrachteten dies als einen organisatorisch bedingten Prozeß, in dem sie auch einiges dazulernen konnten. "...in der ersten Stelle war ich oft bei den Gärtnern und habe Pflanzpläne erstellt, Vogelhäuschen gebaut, Kartierung von Naturschutzdenkmälern, Mähen, Mäharbeiten, See-Entrümpelung, Hohlwegpflege, Krötengrabensäuberung, Obstbaumschnittkurs, Kräutergartenanlegen, beim Blockhüttenbau mitgeholfen, Riedpflege, Ausstellungstafeln erstellen, landwirtschaftliches Arbeiten"

Das Team der wissenschaftlichen Begleitung verstand während der dreijährigen Modellphase u.a. seine Aufgabe darin, unter Einbeziehung der Einsatzstellen, der Teilnehmer und der Leitung der Begleitseminare konzeptionelle Ratschläge zur Realisierung der oben erwähnten Ziele zu formulieren. Neben den Umwelteinstellungen, Umweltinteressen und Umweltbewußtsein der Teilnehmer wurden hierbei die Interessen der Einsatzstellen sowie der politische Kontext von Ökologie mitberücksichtigt.

Der Stellenwert des FÖJ für die Teilnehmer/innen läßt sich als Antwort auf die Frage "Würdest Du das FÖJ nochmal machen?" beantworten. Nur 52% der Teilnehmer/innen gaben hier eine positive Antwort. Dies bedeutet aber nicht, daß alle anderen das FÖJ schlecht fanden, sondern gemeint war im positiven Sinne, "das Jahr zu erleben, reicht einmal". Es gibt aber auch einen 10%igen Teil der Gruppe, der schlechte Erfahrung während des FÖJ gemacht hatte. Diese Teilnehmer würden auf gar keinen Fall das Jahr nochmal machen und bedauerten es, am FÖJ teilgenommen zu haben. Hierbei muß aber gesehen werden, daß die Teilnehmer/innen zwischen dem FÖJ als Institution, als Einrichtung innerhalb unserer Gesellschaft und zwischen dem persönlich erlebten FÖJ unterscheiden. Viele der negativen Äußerungen beziehen sich auf das persönlich erlebte FÖJ. Diese Teilnehmer würden sich unter den heutigen Voraussetzungen, auf dem Hintergrund der inzwischen gemachten Erfahrungen und dem von ihnen erreichten Wissensstand, wieder für das FÖJ entscheiden.

Die Einrichtung des Freiwilligen ökologischen Jahres bietet im Hinblick auf die Situation der heutigen Jugend sowie die Entstehung Neuer sozialer Bewegungen, mit wie auch immer begründeten Zukunftsvisionen, eine gute Möglichkeit, um einer politisch-ökologischen Orientierung zu mehr gesellschaftlicher Akzeptanz zu verhelfen. Deshalb darf diese Einrichtung, die maßgebend mit von der baden-württembergischen Landesregierung geschaffen wurde, nicht durch mangelnde gesellschafts- und umweltpolitische Aufklärung und Lehrinhalte in den Seminaren zu einer Aufbewahrungsanstalt für Jugendliche werden, um die Arbeitslosenstatistik zu vermindern oder die von Studentenmassen strapazierten Universitäten zu schonen. Auch eine >>Nurbe, mag in diesem Falle fehl am Platze sein.

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